Durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht sich ein festverwurzeltes Muster, dass Eltern oder andere Lehrmeister die nächste Generation von Jägern großzogen: Sie lehrten die Jungen und rüsteten sie für den Moment, in dem sie ebenfalls zu Jägern werden würden. Die Jagd ist eine äußerst komplexe Angelegenheit, die nicht nur ein hohes Maß an Können und Wissen erfordert, sondern vor allem auch einen tiefen Respekt vor der Natur und das Begreifen der Auswirkungen des eigenen Handelns. Dies sind Dinge, die mein Vater bei seinem eigenen Werdegang zum Jäger gelernt hat, und sie sind der Grund, warum er die Aufgabe, mich und meine Schwester als Jäger großzuziehen, nicht auf die leichte Schulter genommen hat.
Da ich in ein Umfeld des Jagens hineingeboren wurde und einen leidenschaftlichen Jäger als Vater hatte, war mir der Weg des Lernens zwar vorbestimmt, aber es war mein Vater, der mit Absicht die grundlegenden jagdlichen Fähigkeiten und das detaillierte Verstehen der Tierwelt förderte, über die ich heute verfüge. Angefangen damit, einfach zusammen Zeit im Freien zu verbringen oder Jagd-DVDs anzuschauen, bis hin zum Einschlafen, während er mir Death in the long grass und andere berühmte Jagdbücher vorlas, hat mein Vater meinen Instinkt immer wieder angeregt und ihn in eine Leidenschaft verwandelt. So hat er mich auf den Tag vorbereitet, an dem ich selber Jäger werden würde. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich aufgemacht und mein erstes Tier gejagt, kaum dass ich in der Lage war, eine Waffe in die Hand zu nehmen, aber mein Vater wusste, dass es Dinge gab, die ich erst verstehen würde, wenn ich älter war. Bis dieser Tag kam, erlaubte er mir nicht, auf ein großes Stück Wild zu zielen und den Abzug zu drücken. Jetzt, mit 24 Jahren, kann ich den Wert seiner Geduld erkennen.
Eines der einflussreichsten Erlebnisse schon früh auf meinem Weg zum Jäger war ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1989: In the blood. In diesem Film dokumentiert George Butler sehr gekonnt den Werdegang seines Sohnes Tyssen zum Großwildjäger, während er mit dem legendären Berufsjäger Robin Hurt auf Safari in Tansania war. Die Geschichte stellt Tyssens zunehmendes Verständnis für den Naturschutz dar und wie er Jagdfähigkeiten erlernt. Sie gipfelt in der Jagd auf sein erstes Großwild, einen alten Kap-Büffelbullen. Als der 13-jährige Tyssen wenige Augenblicke später neben dem zur Strecke gebrachten Bullen stand, stiegen ihm Tränen in die Augen. Robin bemerkte es und sagte zu ihm: „Heute bist du ein Teil der Natur geworden. Aber jetzt weißt du, wie es ist, wenn man einem Tier das Leben nimmt. Es ist auch ein trauriges Ereignis.“ Dann reichte er nach unten, tunkte seine Finger in das Blut des Büffels und sagte: „Tyssen, dies ist der ernsteste Teil. Weißt du, was du gerade getan hast? Du hast dein erstes Tier erlegt, und das ist ein besonderer Augenblick.“ Dann strich Robin das Blut auf Tyssens Gesicht und drehte ihn zu den Hügeln hin, um ihn daran zu erinnern, dass sie dort standen, wo dieser Büffel sein ganzes Leben verbracht hatte. Selbst im zarten Alter von sechs Jahren, als ich den Film zum ersten Mal mit meinem Vater sah, war ich von dieser kraftvollen Szene ergriffen und konnte es kaum erwarten, eines Tages selbst so etwas zu erleben.
Dazu kam es etwa ein Jahr später, als wir 2006 mit einigen der engsten Freunde unserer Familie auf Safari waren. Es war nicht unsere erste gemeinsame Familiensafari, aber dieses Mal lag etwas anderes in der Luft. Ich wusste, dass ich an der Reihe war, in die Jägerzunft aufgenommen zu werden. Meine erste Pirsch werde ich nie vergessen: wir konnten uns einem kapitalen Warzenschwein bis auf 15 Meter nähern. Mein Herz pochte wie wild, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass dies mein Moment wäre. Aber durch das Gras konnte ich seine wichtigsten Körperstellen nicht klar erkennen, also drückte ich nicht ab. So nah war ich noch nie an ein Stück Wild herangekommen, und ich erinnere mich noch genau an den Stolz, den mein Vater ausstrahlte, weil ich Geduld bewahrt hatte (was bei einem 7-Jährigen nicht üblich ist). Er hatte mich gut gelehrt, und diese Pirsch bestätigte ihm erneut, dass ich bereit war. Das war auch gut so, denn einige Tage später, als mein Moment tatsächlich gekommen war, musste er mir vertrauen, dass ich das gleiche Maß an Einsicht zeigen würde.
Nachdem wir mehrere Tage lang mit dem Jagd-Team herumgefahren waren und abwechselnd das Warzenschwein bei seiner Futtersuche beobachtet und uns mehrmals an ein Warzenschwein für mich herangepirscht hatten – ohne Erfolg – beschlossen wir, dass es das Beste wäre, unseren Plan zu ändern und die Warzenschweine zu uns kommen zu lassen. Unser Freund George Hallamore, ein Berufsjäger, kannte einen abgeschiedenen Wassertümpel in einem größtenteils trockenen Flusslauf mit einem perfekten Platz für einen Pop-up-Schirm in erhöhter Position mit Blick auf das Wasser. Wir bauten also einen Schirm auf, und dann nahmen mein Vater und ich zusammen mit einem der Fährtenleser, Solomon, dort Platz und stellten uns auf das Wartespiel ein. Mehrere Stunden vergingen. Tiere, auf die wir es nicht abgesehen hatten, oder junge Warzenschweine, suchten gelegentlich das Wasser auf, aber ein geeigneter Keiler hatte sich noch nicht blicken lassen. Ich war begeistert von der Möglichkeit, die Tiere aus nächster Nähe zu beobachten und dabei unentdeckt zu bleiben – das war eine Form der Jagd, die ich bis dahin noch nicht erlebt hatte. Gleichwohl begann der 7-jährige Junge in mir langsam vor Langeweile einzugehen. Wann würde das richtige Schwein denn endlich auftauchen? Ich war wohl gerade dabei, zum 87. Mal die Tauben am Wasser zu zählen, als mir mein Vater auf die Schulter tippte. „Jack, da kommt ein schönes Warzenschwein“, flüsterte er, „mach dich bereit, wir werden es uns holen.“ Plötzlich hörte ich nur noch meinen Herzschlag in meinem Kopf widerhallen, und meine Hände begannen zu zittern, obwohl ich mich sehr bemühte, sie ruhig zu halten. Der große Moment war gekommen.
Wir beobachteten, wie der Keiler gemächlich durch das Flussbett kam und an dem Wassertümpel zu schöpfen begann. Er war uns direkt zugewandt, was bedeutete, dass wir nicht schießen konnten. Also warteten wir. Als er mit dem Schöpfen fertig war, wandte er sich in die entgegengesetzte Richtung und schien sich entfernen zu wollen. Bei mir begann sich das vertraute Gefühl der Niederlage breitzumachen. Doch zu meiner Überraschung ließ sich der Keiler plötzlich auf die Knie nieder und fing an, in einer kleinen Vertiefung im Sand nach Insekten zu wühlen. Der Winkel war perfekt, aber es gab ein Problem – ich konnte nur die Hälfte seines Körpers sehen. Da er sich auf den Knien in einem Pseudoloch befand, verdeckte der Erdboden zwischen uns den größten Teil seiner unteren Hälfte. Die meisten seiner wichtigsten Körperstellen, die entscheidenden Bezugspunkte für die Schussplatzierung, die mir mein Vater beigebracht hatte, waren nicht zu sehen. Erschwerend kam hinzu, dass sich das Warzenschwein hin und her bewegte, während es auf der Suche nach dem nächsten Bissen tiefer wühlte. Ich merkte, dass mein Vater nicht froh über die Situation war und wollte, dass ich eine klare Schussmöglichkeit abwarten sollte. Aber als er mich zuversichtlich sagen hörte „ich kann ihn dort holen!“, wusste er, dass er meinem Urteil vertrauen konnte. Ich richtete das Fadenkreuz auf die Schulter des Keilers knapp über dem Erdwall und während die beruhigende Stimme meines Vaters im Hintergrund wiederholte „Nimm dir einfach Zeit… nimmmmm dir Zeit“, drückte ich den Abzug.
Das Krachen des Schusses und der Rückstoß des Gewehrs stürzten mich in völlige Verwirrung. Ich hielt Ausschau nach dem Warzenschwein, aber es schien verschwunden zu sein. „Habe ich ihn erwischt?“, fragte ich angespannt. Als mein Vater mir mitteilte, dass der Keiler zur Strecke gebracht war, schaute ich noch einmal hinüber und sah Staub aus dem „Loch“ aufsteigen. Er stammte von den letzten Tritten des Warzenschweins. Ich erinnere mich, dass ich etwas fühlte, das ich noch nie in meinem Leben gefühlt hatte. Es war ein fast ekelerregender Adrenalinschub, intensiver Stolz und instinktives Erwachen. Ich war vom Beobachter zum Teilnehmer an der Natur aufgestiegen – von einem Jagenden zu einem Jäger. Es ist ein Gefühl, das tief in der Seele sitzt und das man erst verstehen kann, wenn man es selbst erlebt. Ich sprang auf und gab meinem Vater ein stürmisches High-Five, dankte ihm ausgiebig und sagte, dass ich es ohne ihn nicht geschafft hätte.
Wenige Minuten später nahm ich an der besonderen Tradition teil, die ich ein Jahr zuvor im Fernsehen verfolgt hatte. Mein Vater hielt mir dieselbe Ansprache, die Robin Tyssen gehalten hatte, und strich mir das Blut des Warzenschweins ins Gesicht. In diesem Augenblick wurde in the blood plötzlich zu etwas viel Wirklicherem und Bedeutungsvollerem als bildliches Reden über unsere Instinkte. Als wir ins Camp zurückkehrten, wurde ich von meiner Mutter, meiner Schwester und unseren Freunden mit Glückwünschen empfangen – nicht, weil sie gesehen oder gehört hatten, dass ich ein Warzenschwein erlegt hatte, sondern weil sie das Blut auf meinem Gesicht sahen und wussten, was es bedeutete. Es war unbeschreiblich, zu wissen, dass das, was ich getan hatte, echt war. Es war nicht nur etwas, das ich gefühlt hatte. Es war etwas, das ich auf meinem Gesicht trug und das alle sehen konnten. Und obwohl meine Mutter darauf bestand, dass ich das Blut vor dem Schlafengehen abwusch, hatte es ein bleibendes Mal auf mir hinterlassen, das mir nie wieder genommen werden kann.
Einige Jahre später zogen wir nach Namibia um, und ich hatte mit meinem Vater unzählige weitere denkwürdige Erlebnisse im Busch. Von ihm und anderen Lehrmeistern lernte ich weiter – unter ihnen einige der besten Berufsjäger Afrikas, wie Jofie Lamprecht und Dirk de Bod. Die Möglichkeiten, die ich während meiner Jahre in Namibia wahrnehmen konnte, ließen mich als Jäger in einer Weise wachsen, die ich mir an jenem Tag im Jahr 2006 nie hätte vorstellen können. Ich weiß jedoch, dass ich auf meinem Weg als Jäger auch heute noch viele weitere Meilen und Lektionen vor mir habe. Jener Tag war lediglich die erste Seite eines neuen Kapitels, und ich freue mich darauf, aus den Kapiteln zu lernen, die noch vor mir liegen. Hoffentlich kann ich eines Tages ebenfalls dazu beitragen, ein Buch für einen anderen jungen Jäger zu schreiben.