| Haupt Foto ©Jacques Strauss
| Haupt Foto ©Jacques Strauss
U nsere Mannschaft bestand aus Moses, meinem getreuen Fährtenleser und Fahrer, sowie Doug Dry und seinem Sohn Joey aus Texas, USA. Diese Jagd war seit langem fällig. Joey hatte schon als Junge davon geträumt, in der afrikanischen Savanne jagen zu gehen. An seinem 27. Geburtstag ließ sein Vater diesen Traum Wirklichkeit werden.
Am ersten Hügel hielten wir an. Ich stieg vom Fahrzeug, Moses suchte bereits mit den Augen die Täler nach Anzeichen ab, die auf Kudus deuteten. Doug und Joey sollten vorerst im Jagdwagen warten. Es war recht mühsam, mit kalten steifen Gliedern über die Felsbrocken zu klettern. Ein- oder zweimal hielt ich inne, um meine tropfende Nase zu schneuzen, dann waren wir auf dem Gipfel angelangt und setzten uns, um das Fernglas auf das Gelände unter uns zu richten. Die Sonne brach durch die Wolken, und im Tal leuchtete der Granit auf wie eine Glühbirne in der Nacht. Dort gab es auch mehrere große Kameldornbäume und perfekt verstreute Hakendorn-Dickichte.
Aufgrund der Dezimierung durch Tollwut ist es dieses Jahr sehr schwierig, einen Kudubullen mit mehr als 50 Zoll zu erwischen. Man muss sich gehörig anstrengen, um diese magische Grenze zu überschreiten. Doch gerade das gehört auch zur Freude an der Jagd. Eine gute Trophäe wird einem nicht geschenkt, man muss sie sich verdienen.
Eines war so sicher wie der kommende Tag: wir befanden uns in ausgezeichnetem Kudu-Gelände. Hier bieten die Höhenrücken, Sättel und Kämme genau die Abgeschiedenheit, die ein Kudubulle sucht. Während ich die Umgebung mit dem Fernglas absuchte, drehte sich Moses auf die herkömmliche Weise eine dünne Zigarette. Auf ein Stückchen Zeitungspapier krümelt er die exakt abgestimmte Menge Tabak und rollt es mit Sorgfalt fest zusammen.
Ich saß da und dachte mir: ein guter Fischer würde jetzt versuchen, sich in einen Fisch hineinzuversetzen. Aber in diesen Tälern gab es einfach keine Kudus.
“Wäre ich ein Kudubulle, würde ich mich hier aufhalten”, versicherten mir meine Gedanken. Kameldornschoten sind in dieser Jahreszeit eine ausgezeichnete Proteinquelle, das ideale Kudu-Futter so kurz nach der Brunft. Zudem ist diese Gegend abgeschieden, ruhig und friedlich. Die perfekte Mischung für eine erfolgreiche Kudu-Jagd.
Nach einer Weile schickte ich Moses zu den wartenden Jagdgästen zurück. Ich wollte über die Felsbrocken und durch das hohe Gras hinweg weiterziehen und das Kudu-Versteck ausfindig machen. Joey sollte seine Energie erst für die letzte Pirsch einsetzen, wenn ich einen geeigneten Bullen gesichtet hatte.
Der nächste Gipfel war etwa 1,6 Kilometer weit entfernt. Von dort konnte ich den Sattel nebenan mit dem Fernglas absuchen. Meine Augen drangen in jeden Schatten, immer in der Hoffnung, einen Blick auf ein Schraubengehörn zu erhaschen. Das gehört zum Zauber von Afrika: Man weiss nie, was man hinter dem nächsten Busch antrifft. Diese Spannung ist es, weshalb wir jagen, sie ist wie ein Trommelschlag. Die Jagd liegt uns im Blut, und der Nervenkitzel des Weidwerks ist Nahrung für die Seele.
Oben auf dem Gipfel ließ ich das Fernglas über den Berghang und den Sattel gleiten. Die Sonne strahlte hell auf den Granit und als grüner Kontrast hob sich der Kudubusch ab. Ein einsamer Oryx-Bulle tat sich an den großen Kameldornbäumen gütlich, noch weiter entfernt wärmte sich eine Herde Kuhantilopen im Sonnenschein. Weitergeschaut…. wo ragt ein Stückchen Hornspirale aus dem Busch? Nirgends.
Meine Gedanken vergossen eine weitere Träne. Hoffnungsvoll schaute ich noch einmal zurück auf das Kudubusch-Dickicht fast in der Mitte des Bergkamms. Wenn dort nichts war, mussten wir in einer anderen Gegend suchen.
Halt…
Da bewegte sich doch etwas im Laub des Kudubusches! “Jetzt nur ruhig, Jacques… konzentrier dich, was ist da?”, sprach mein Verstand zu mir. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Mein Herz schlug Purzelbäume und mein flacher Atem wurde noch flacher. Die Silhouette einer Hornspirale mit elfenbein-weißer Spitze hob sich gegen den blauen August-Himmel ab. Ein Kudubulle war anmutig am Äsen, die Hörner schwenkten hin und her.
Ich wusste, dass wir diesen Bullen haben mussten. Die nach vorn gerichteten Spitzen und die tiefen Schrauben der schokoladenfarbenen Hörner deuteten auf sein Alter. Er war die perfekte Trophäe. Über Sprechfunk bat ich Moses, sich mit Joey auf den Weg zu machen, damit wir zur letzten Pirsch starten konnten. Ich schlug einen hufeisenförmigen Bogen zum Kamm hin, um in eine günstige Windrichtung zu kommen und an einer geeigneten Stelle mit den anderen zusammenzutreffen.
Nach einer kurzen Besprechung im Jagdwagen brachen wir gegen den Wind auf. Wir schritten rasch voran bis wir den Gipfel umrundet hatten. Jetzt befanden wir uns in einer vorteilhaften Position und konnten uns vorsichtig an den Kudu heranpirschen, langsam und möglichst lautlos. Schritt für Schritt. Die Stimme in meinem Kopf meldete sich wieder: “Kudus werden nicht umsonst der Graue Geist genannt”…
Schweigend gingen wir 30 Meter weit neben dem Kudubusch-Dickicht entlang, genau dort, wo sich der Gipfel mit dem roten Sand der Kalahari und großen Kameldornbäumen vereint. Gewehr und Zielstock griffbereit. Ständig nach Bewegung Ausschau haltend. Die Hände schweißnass, die Knie zittrig und dennoch schwer. Dies war der große Augenblick. Die Spannung hing in der Luft wie die Duftwolke eines Skunks.
Wir waren da, genau dort, wo sich der Kudu vor 40 Minuten aufgehalten hatte. Er konnte nicht weit sein. Er musste hier sein. Irgendwo…. unsere Augen forschend, die Umgebung abtastend, auf der Suche.
Der große Ernest Hemingway war viele Male ohne Erfolg auf Kudu-Jagd. Sollte uns ebenfalls Pech beschieden sein? Hoffentlich nicht….
Ich gab Joey zu verstehen, dass er stehenbleiben sollte, während ich mich auf einen großen Felsbrocken schob, um besser sehen zu können… Ich blickte direkt in die Augen des Kudus, zehn Meter von mir entfernt. Er starrte mich nur zehn Sekunden lang an, dann sprang er davon. Die Spiralhörner wiegten mit jedem Satz vor und zurück wie bei einem Rodeobullen, der Schwanz stand hoch. Hörner mit tiefen Windungen, mit schwerer Basis am Ansatz und Spitzen aus weißem Gold. Bei solch einem Anblick musste jedes Jägerherz einen Schlag aussetzen.
Joey war blass geworden und sah ganz benommen aus. Seine Lippen formten die Wörter “Kudu, Kudu”. Ich signalisierte ihm, dass ich den Kudu gesehen hatte, und dann eilten wir unserer Beute hinterher. Hoffentlich konnten wir einen Schuss anbringen.
Nichts war. Uns blieb nur die Spur im roten Boden der Kalahari.
Ich drehte mich zu Joey um und sagte: “Von diesem Kudu lassen wir heute nicht mehr ab. Wir müssen ihn bekommen. Selbst wenn es ein schwieriger Schuss wird – hol’ ihn dir!” Die Aussicht, ihn einzuholen war gering, aber gering ist immerhin mehr als gar keine Aussicht. Ich heftete meine Augen auf die Fährte und schon ging es los. Die Wolken hatten sich davongetrollt, und die Sonne beherrschte den Himmel. Es war eine langsame, mühselige Spurensuche, die große Aufmerksamkeit erforderte.
Von den Spuren konnten wir auf das Tempo des fliehenden Kudus schließen, und wir holten zügig aus, um mit ihm mitzuhalten. Wir wurden erst langsamer als die Fährte zeigte, dass der Kudu im Schritt ging. Eine leichte Brise war aufgekommen. Der Bulle zog stetig gegen den Wind weiter.
Ich kniete nieder und betrachtete die Spur. Dann schloss ich die Augen und stellte mir den Bullen vor: den Kopf gesenkt, um niedrigen Ästen auszuweichen, der Bart von der sanften Brise umspielt, die Hufe sanken tief in den weichen Boden. Ein wahrer König, der weise mit dem Sand der Zeit umging. Wir gingen weiter. Ich wusste, dass wir ihn bald einholen würden. Hoffentlich noch vor dem großen Hügel.
Unsere Augen hielten ständig Ausschau nach einem Horn, das in der Mittagssonne glänzte.
Ich blieb stehen, um den Hügel mit dem Fernglas abzusuchen. Und da war er! Etwa 300 Meter von uns entfernt schickte er sich ahnungslos an, den Hügel hinaufzuziehen. Ich bedeutete Joey, dicht hinter mir zu bleiben. So lautlos wie möglich eilten wir durch das hohe Gras. Von Busch zu Busch. Bei einem großen Hakendorn blieb ich stehen, denn der Kudu näherte sich einer Senke am Hang. Ich riss den Zielstock auf, Joey war mit einem Satz da. Gewehr im Anschlag, Patrone im Lager. “Siehst du ihn, Joey?”, fragte ich eindringlich. “Er geht auf die Senke zu… schau auf die Senke.” Schließlich schob ich den Gewehrlauf in die Richtung, in die sich der Kudu bewegte. “Ah, da ist er”, sagte Joey.
Der Kudubulle trat in die Senke. Das Gehörn größer denn je. Er hielt inne und zeigte sich von seiner beeindruckendsten Seite. “Jetzt. Hol’ ihn dir”, flüsterte ich. Die 30-06 BSA hallte am Berg entlang wider. Ich sah den Bullen einen Sprung machen, dann bäumte er sich auf, ging etwas weiter und blieb stehen. Die Kugel hatte getroffen. Mit angehaltenem Atem schaute ich durch mein Fernglas. Joey schoss erneut, und der Kudu brach zusammen.
Mühsam stiegen wir den Hügel hinauf. Schweiß auf dem Rücken, schwer atmend. Doch die Spannung steigerte sich wie in einem guten Horrorfilm. Ich konnte es kaum abwarten, das Gehörn in meinen Händen zu halten und merkte plötzlich, dass ich immer schneller ging. Fast blieb mein Herz stehen, als ich herangekommen war. Die Hörner schokoladig braun, tief gewunden, mit Elfenbeinspitze. Sein Körper trug Narben, dieser Bulle war ein Kämpfer. Ein echter König der afrikanischen Wildnis, der keine Grenzen kannte. “Mein Freund”, sagte ich zu Joey, “du weißt gar nicht, was du hier hast – du ahnst es nicht.”
Dieser Artikel wurde erstmals in der 2015 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.