| Haupt Foto ©Paul van Schalkwyk
| Haupt Foto ©Paul van Schalkwyk
C arl hatte eine Jagd in der Wüste, in der Tsiseb Conservancy gebucht. Ganz oben auf seiner Liste stand der Oryx, der „Ritter der Einsamkeit“. Der Oryx ist bekannt für seine Härte und auch dafür, eine Menge Blei zu vertragen, wenn der erste Schuss nicht optimal sitzt. Das sollte Carl als erstes erfahren.
Am siebten von acht Jagdtagen stiegen wir auf einen Berg mit Felsformationen, die wie die Schuppen auf dem Rücken eines riesigen Drachens aussahen. In den letzten Tagen hatten wir einige Oryx in Anblick gehabt, jedoch ausschließlich Kühe oder Gruppen von jungen Tieren. Mit großen Anstrengungen und einer Portion Glück hatte Carl bisher ein Berg-Zebra und einen braven alten Springbock erlegen können. Danach allerdings hatte uns das Glück verlassen und die ersehnte Beute machte einen großen Bogen um uns. Während wir die Gegend abglasten, erschien ein Oryx wie aus dem Nichts auf einem parallel verlaufenden Rücken. Es war fast Mittag und kaum hatten wir ihn erblickt, da verschwand er auf der abgewandten Seite der Hügelkette. Die Entfernung dorthin schätzten wir auf ungefähr drei Kilometer.
Meine Sorge galt der nahen, nur rund sieben bis zehn Kilometer entfernten Grenze zum Dorob Nationalpark auf der anderen Seite der Hügelkette, genau in der Richtung, in die der Oryx gezogen war. So ist das Leben! Man jagt in einer fast eine Million Hektar umfassenden Konzession und dann ist sie anscheinend zu klein! Ich sagte zu Carl: „Wenn überhaupt, dann ist das unsere Chance!“ Rund zehn Kilometer vom Auto entfernt, mit knapp werdendem Wasser, ging es jetzt ums Ganze. „Ich kann dir noch nicht mal sagen, ob es ein Bulle war oder ob er alt genug ist. Aber, er zieht allein, und das ist immer ein gutes Zeichen“. Carl zuckte nur mit den Achseln und antwortete in seinem breiten texanischen Akzent: “welllll, let‘s go!“ Die Eile, Erwartung und Aufregung trieben uns an und machten uns zu Laufmaschinen. Elias und Eric, unsere beiden Tracker, Carl und ich schafften die Strecke zu der Stelle, wo wir den Oryx gesehen hatten in Rekordzeit. Dazu das Gefühl, bei steigender Pulsfrequenz einen Baumwollbausch im Mund zu haben. Der heulende, trockene Nord-Ostwind erschwerte das Laufen zusätzlich und Sandkörner brannten auf Armen, Beinen und im Gesicht.
Unterhalb des Bergrückens hielten wir kurz, um unsere trockenen Kehlen mit einem Schluck warmen Wasser aus unseren Feldflaschen zu spülen. Gespannt pirschten wir vorsichtig auf den Rücken, nach allen Seiten in die Hänge, Schlote und die Ferne spähend. Aber nichts war in Sicht.
„Verflixt, wo zum Teufel ist der Oryx“ fluchte Carl. Mir ging ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf, da entdeckten wir die typisch graue Farbe des Oryx, der den Hang der nächsten Hügelkette in etwa einem Kilometer Entfernung hinauf trottete. Diesmal aber war eindeutig erkennbar, dass wir tatsächlich einen großen, alten Bullen mit langen Hörnern vor uns hatten.
Der Oryx hatte uns nicht bemerkt. Wir warteten, bis er über den Rücken verschwand und folgten dann schnell, fast im Laufschritt, die nächste Hügelkette hinauf. Ich drängte Carl alles zu geben, um diese Chance auf einen reifen Bullen nicht zu vergeben. Er blieb dicht hinter mir. Direkt unterhalb des Rückens stoppten wir um Atem zu schöpfen und damit Carl seine .30-06 fertig laden konnte. Hintereinander pirschten wir ganz vorsichtig die letzten Meter hinauf und blickten über den Rücken. Da stand er, der Ritter der Einsamkeit, auf 160 Meter, den Blick in die weite Ebene gerichtet, den Schweif vom Wind zur Seite geweht. Wir legten uns auf die Felsen, die jetzt, zwei Stunden nach Mittag, so heiß waren, dass man Eier darauf hätte braten können. Der Rucksack diente als Auflage für die Büchse. „Carl, der Bulle ist gut, du kannst schießen, aber kalkulier‘ den Wind ein!“ flüsterte ich. Der Schuss donnerte viel schneller als ich erwartet hatte und der Oryx zeichnete mit Auskeilen nach hinten – das war gar kein gutes Zeichen, denn erfahrungsgemäß bedeutete das einen weichen Schuss. Carl lud sofort nach, aber bevor er einen zweiten Schuss anbringen konnte ging der Oryx hochflüchtig ins Tal ab und verschwand aus unserer Sicht. Wir sprangen auf und setzten dem Oryx nach, bekamen ihn wieder in den Blick, warfen uns zu Boden um wieder schießen zu können. Die Entfernung zwischen uns und dem Oryx wurde schnell größer. Carl zielte und schoss – daneben! Er feuerte wieder, jetzt strauchelte der Bulle, lief noch vierzig Meter weiter und setzte sich auf die Keulen. Langsam näherten wir uns dem Bullen und Carl konnte ihm jetzt den Fangschuss antragen.
Die ganze Achterbahnfahrt an Gefühlen überkam uns noch mal und noch mal. Erschöpft, aber erleichtert und glücklich saßen wir bei dem Bullen. Tage wie diese machen uns stolz als Jäger und gleichzeitig dankbar auf diese Weise in einem Gebiet wie diesem jagen zu können.
Aber dies ist nicht das Ende der Jagd. Zunächst mussten wir das Auto so nah wie möglich an den Oryx heran manövrieren und erst als das ganze Fleisch aufgeladen war, fuhren wir zurück ins Camp. Die Sonne ging gerade unter und setzte einen Schlusspunkt unter eine grandiose Woche auf der Jagd mit wunderschönen Erinnerungen.
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Vor dem Hintergrund hoher Gebirgszüge, deren Farben mit den Tageszeiten wechseln, liegen gewaltige Granitblöcke verstreut in der Weite der Schotterflächen der Wüste am westlichen Rande Namibias. Die Läufe alter Trockenflüsse, die sich in Millionen von Jahren durch Bergketten gegraben haben, Quellen, die überraschend Wasser haben. Oft sogar durch viele Trockenzeiten hindurch. Aus diesen grünen Oasen, dem Nebel, der von der Küste her landeinwärts kriecht und dem seltenen Regen entsteht der Kern des überraschend üppigen Lebens, das in dieser trockenen Landschaft existiert. Die Flora und Fauna, die hier heimisch ist, hat sich über Jahrtausende hinweg an die Bedingungen in dieser kargen Welt angepasst und überlebt hier nicht nur, sondern gedeiht. Natürliche Auslese, bizarre Anpassungen sind die Gründe dafür, dass die Evolution das Leben in dieser Gegend möglich gemacht hat.
In dieser weiten Wüste gejagt zu haben und zu jagen gehört sicher zu den ganz besonderen Privilegien des Lebens. Keine Kamera kann die Großartigkeit dieser Landschaft einfangen. Endlose Kilometer in der Hitze des Mittags auf der Jagd nach einem einzelnen alten Springbock durch diese Wüste zu wandern, das gleißende Licht so stark in der Hitze flirrend, dass das Ansprechen durch das Fernglas schier unmöglich ist, lässt mich ebenso wie meinen Gast in tiefer Demut verharren. Man begreift, dass wir Jäger nur eine Nanosekunde existieren, verglichen mit der Ewigkeit, die diese Wüste schon besteht und wie lang sie noch bestehen wird. Oft spürt man nach einem langen Jagdtag, dass diese Wüste tatsächlich lebendig ist, ich möchte sogar soweit gehen zu sagen, man bekommt ein Gefühl dafür, dass die Wüste viele Geheimnisse in sich trägt und hier vielleicht sogar der Ursprung des Lebens liegt.
Was für ein überwältigender Eindruck ist es doch, einen Oryx Bullen, der in dem ihm eigenen, geradezu majestätischen Gang über die Schotter-Ebene zieht, zu beobachten. Man gewinnt den Eindruck, dass er die Hitze überhaupt nicht bemerkt. Das Wedeln des Schweifs ist nur ein Zeichen tiefster Zufriedenheit. Selbstsicher zieht er seine Bahn, niemals kommt er aus dem Tritt oder ändert seine Geschwindigkeit. Selten bleibt er stehen um mit erhobenem Haupt rundum zu sichern. Mir erscheint er als der Ritter der Einsamkeit. Er lebt in vollkommener Harmonie mit der Wüste und dem Alleinsein.
Dieser Artikel wurde erstmals in der 2014 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.