Dem Getöse entgegenlaufen

von Danene van der Westhuyzen

Das Brummen des Kleinflugzeugs ging mir durch Mark und Bein. Jede Vibration fühlte sich wie verstärkt an, jede Unebenheit hier oben war eine weitere Mahnung, wie zerbrechlich wir Menschen doch sind, wenn der Boden unter unseren Füßen verschwindet. Mein Mann saß am Steuer, ruhig und gelassen wie immer – in der Luft, auf der Jagd und im Leben.

Ich hingegen klammerte mich so fest an den Sitz, dass sich meine Fingernägel in den Bezug gruben. Atme, Danene. Einfach atmen.

Fliegen ist meine persönliche Zerreißprobe. Jeder Flug entfesselt einen Sturm der Panik in mir – die kreisenden Waswäre-wenn-Gedanken, das rasende Herz, das bloße Wissen, wie gnadenlos die Schwerkraft ist. Und doch saß ich hier, hatte mich ins Cockpit gezwungen. Denn nach dem Flug wartete eine Jagd, die ich fürchtete, der ich mich aber stellen musste: auf eine Elefantenkuh ohne Stoßzähne.

Ich presste meine Stirn gegen die kühle Plexiglasscheibe und blickte hinunter. Der afrikanische Busch erstreckte sich endlos, ein Mosaik aus Dornensträuchern und sandigen Adern, rau und schön, unerbittlich und lebendig.

Elefanten ohne Stoßzähne sind nicht irgendwelche Elefanten. Sie sind Legenden, über die in den Camps und am Lagerfeuer geflüstert wird. Unberechenbar. Aggressiv. Schnell auf Attacke eingestellt. Zwar hatte ich schon “wehrhaftes Wild gejagt, aber das hier war anders. Wir waren in Zimbabwe, und hier war meine Jagdführer-Lizenz nicht gültig. Ausnahmsweise war ich nicht der Profi. Ich war Gast und völlig auf Keith angewiesen, den Berufsjäger, der uns führte. Für mich, die es gewohnt ist, meine eigene Verantwortung – und mein eigenes Gewehr – zu haben, war diese Blöße erdrückend.

„Die Jagd ist rau und zugleich erhaben, ebenso urtümlich wie tiefgründig. Sie zieht uns zurück in den Rhythmus der Natur, wo Leben und Tod keine abstrakten Konzepte sind, sondern Realitäten, die in jeden Schritt, jeden Atemzug eingewoben sind. Dort draußen, frei von Ablenkungen, nähern wir uns unserem animalischen Instinkt – wachsam, verletzlich, lebendig“

DIE LAST DER ANGST

Es gibt eine besondere Art von Angst, die einen ergreift, wenn Körper und Verstand Übereinstimmung verweigern.

Jede Sekunde auf diesem Sitz war ein Kampf mit mir selbst.

Mein Verstand sagte mir, dass das Flugzeug sicher war. Mein Verstand sagte mir, dass der Berufsjäger die Kompetenz, das Team und die Erfahrung hatte. Mein Verstand sagte mir, dass die Risiken kalkuliert waren, dass wir vorbereitet waren. Doch Angst hört nicht auf Vernunft.

Angst nistet sich im Körper ein. Sie schnürt dir die Brust zu. Sie raubt dir den Atem. Sie flüstert wieder und wieder dieselben giftigen Worte: Du kannst das nicht. Du solltest nicht. Du wirst es nicht überleben.

Und doch regte sich unter der Angst etwas Tieferes. Die Erkenntnis, dass es hier überhaupt nicht um Flugzeuge oder Elefanten ging. Es ging um das Leben selbst – um die Entscheidung, ob ich weiterhin vor den Dingen zurückweichen sollte, die mich in Schrecken versetzen, oder ob ich mich ihnen zuwenden und die Klarheit beanspruchen sollte, die auf der anderen Seite wartete.

Eine andere Stimme erhob sich in mir – eine Stimme, auf die ich in Momenten wie diesem zu achten gelernt hatte: Lauf dem Getöse entgegen.

AFRIKAS FORDERUNGEN

Wir landeten auf einem Erdstreifen, der eher eine Andeutung als eine Landebahn war. Staub wogte, und die Luft traf mich als ob sich eine Ofentür öffnete – undurchdringlich, trocken, gnadenlos.

Manche Dinge auf dieser Welt entziehen sich jeder Beschreibung. Angesichts der Wucht des Erlebens und der Komplexität der Gefühle versagt die Sprache. In Afrika gibt es selten einen Mittelweg. Die Landschaften fordern ein hohes Maß an Akzeptanz, so sehr, dass man sich selbst verliert, freiwillig und manchmal unfreiwillig. Die allgegenwärtige Verletzlichkeit erfüllt uns mit Euphorie oder mit Verzweiflung. Eine Hassliebe, die man entweder nicht ertragen kann oder deren Zauber tief in dich eindringt und dich nie wieder loslässt.

Und so betrat ich den Busch, mit vom trockenen Atem ausgedörrter Kehle.

Die Jagd ist rau und zugleich erhaben, ebenso urtümlich wie tiefgründig. Sie zieht uns zurück in den Rhythmus der Natur, wo Leben und Tod keine abstrakten Konzepte sind, sondern Realitäten, die in jeden Schritt, jeden Atemzug eingewoben sind. Dort draußen, frei von Ablenkungen, nähern wir uns unserem animalischen Instinkt – wachsam, verletzlich, lebendig.

Das wahre Geschenk der Jagd liegt nicht im Erlegen von Wild, sondern darin, wie sie unseren Blick für das schärft, was jenseits des Offensichtlichen liegt. Sie lehrt uns, Landschaften nicht bloß als Kulisse zu sehen, sondern als Geschichten, die darauf warten, sich zu entfalten – geformt von verborgenen Spuren, flüchtigen Zeichen und der Verheißung unerwarteter Begegnungen.

ENTBLÖSST, WEIL OHNE GEWEHR

Ich trug das Gewehr des Kunden, viel schwerer als mein eigenes. Der Riemen schnitt so tief in meine Schulter, dass es brannte. Jeden Tag legten wir weitere Strecken zurück, als ich für möglich gehalten hätte.

Die sengende Sonne strafte uns unerbittlich. Mein Mund war so trocken, dass sich meine Zunge wie Leder anfühlte, jeder Schluck Wasser wurde rationiert, ausgekostet und war nie genug.

Und dann die Fliegen. Tsetsefliegen und Mopanefliegen fielen in unaufhörlichen Schwärmen auf uns herab, stachen wie mit Nadeln, krochen in Ohren, Augen und Nasenlöcher. Sie schienen dazu da zu sein, einem ebenso sehr den Lebensmut zu nehmen wie die Haut zu ruinieren.

Das Veld wurde zur Feuerprobe für Körper und Geist. Jede Faser meines Körpers schrie: Kehr um! Das ist zu viel. Du hast ja nicht einmal dein eigenes Gewehr.

Ohne meine eigene Waffe fühlte ich mich entblößt. Ausgeliefert. Des kleinen Restes an Kontrolle beraubt, die ich üblicherweise besaß. Mein Überleben lag in den Händen eines anderen, und Vertrauen war meine einzige Wahl. Solche Abhängigkeit ist nicht leicht zu akzeptieren. Doch Stolz ist bedeutungslos im Busch. Man marschiert, man erträgt, man schickt sich.

DIE BEGEGNUNG

sie erklimmen könnte. Der Boden bröckelte unter unseren Füßen, Dornen rissen an meinen Schienbeinen, und jeder Schritt fühlte sich mühsamer an als der vorherige. Meine Beine wurden bleischwer, meine Schultern pochten unter dem unerbittlichen Gewicht der Gewehrs, mit jedem Schritt verstärkte sich die Last, als wollte die Waffe mit dem Knochen verschmelzen.

Immer wieder foppten uns die Spuren, zogen uns weiter durch die flirrende Hitze, bis die Hoffnung zu schwinden begann. Wieder und wieder stießen wir auf Kühe mit ihren Kälbern – unmöglich. Dann wieder endete die Spur bei Elefanten, deren lange Stoßzähne in der Sonne glänzten, so dass wir gezwungen waren, umzukehren und von vorn zu beginnen. Die Aussichtslosigkeit nagte an mir – Durst schabte in meiner Kehle, Schweiß brannte in meinen Augen, das Summen der Tsetsefliegen war eine gnadenlose Qual.

Einmal stürmte ein junger Bulle aus dem Mopane-Gebüsch hervor und täuschte einen Angriff vor. Sein Trompeten zerriss förmlich die Luft. Er hielt abrupt inne, Staub wirbelte, und mir blieb fast das Herz stehen.

Es war an einem dieser endlos langen Tage – als die Sonne nur langsam unterging und unsere Erschöpfung in die Länge zog, und sich der immer schmaler werdende Pfad zurück zum Truck durch Klettengras schlängelte – da geschah es. Eine gewaltige Kuh, das Kalb eng an ihre Seite gedrückt, trat vor uns aus dem Busch.

In diesem Augenblick veränderte sich die Welt.

Die Luft wurde dick, fast flüssig. Im Busch wurde es still, die Geräusche verstummten, bis ich nur noch meinen Puls in den Ohren pochen hörte.

Da war sie – massig, unruhig, ihre Haut grau und rissig, Augen, die mit einem heißen, beunruhigenden Feuer glänzten.

Das war’s. Du hast Kinder. Du hast Verantwortung. Du kannst ihr nicht entkommen. Du kannst sie nicht besiegen.

Ich fühlte mich kleiner als je zuvor. Ausgelaugt. Machtlos. Keine eigene Waffe. Nur das pure ausgeliefert Sein, das schwere, geliehene Gewehr, das in meine Schulter schnitt, und Keiths ruhige Silhouette neben mir. Mein Leben reduziert auf sein Urteil, seine Stetigkeit, seinen Abzugsfinger.

Dann kam der Angriff.

Der Boden bebte, als wich die Erde selbst vor ihrem Zorn zurück. Die Luft rauschte heran, trug ihren Staub und ihren Moschusgeruch, das gutturale Grollen ihrer Wut. Keiths Gebrüll durchdrang es, er schleuderte seine Stimme wie eine Waffe auf die sich nähernde Masse. Sie ergoss sich donnernd und verzweifelt, und doch durchzogen von einer seltsamen Zärtlichkeit – fast ein Flehen, fast ein Gebet.

Aber die Elefantenkuh verlangsamte sich nicht. Sie fürchtete sich nicht. Sie hörte nicht auf die Stimme.

Meine Brust verkrampfte sich. Mein Herz hämmerte so heftig gegen meine Rippen, dass ich dachte, es müsste jeden Moment zerspringen. Meine Beine zuckten, ich wollte fliehen. Jeder Instinkt schrie: Umdrehen. Fliehen. Überleben.

Nicht danebenschießen. Um Gottes Willen, nicht danebenschießen Zehn Schritte. Staub kocht in der Luft. Mein Mann an meiner Seite, ruhig wie ein Fels. Ich hingegen: meine Lunge brennt, jeder Muskel ist angespannt zwischen Kampf und Flucht.

Nie zuvor war Angst so laut gewesen.

EINE ANDERE ART VON GESCHENK.

Und doch, in diesem Moment des Schreckens öffnete sich etwas in mir.

Es ist unmöglich, vollständig zu beschreiben, wie es sich anfühlt, in diesem Zwischenraum von Leben und Tod zu stehen,. Die Luft ist dichter. Jeder Laut schärfer. Jeder Gedanke reduziert sich auf eine einzige Wahrheit: Du lebst. Erschreckend, überwältigend lebendig.

Und in dem Moment verstand ich etwas, das ich zuvor nur halb begriffen hatte: Angst war nicht mein Feind. Angst war mein Lehrmeister. Sie entblößte mich auf das Wesentliche, verbrannte das Triviale und ließ nur die rohe, nicht zu leugnende Gabe der Gegenwart übrig.

Sie schärfte meine Wahrnehmung und konfrontierte mich mit der Wahrheit: Das Leben ist zerbrechlich, flüchtig, heilig.

Ich habe die Angst an diesem Tag nicht besiegt. Ich habe sie getragen. Ich habe sie ertragen. Und deshalb bin ich lebend, unversehrt und auf seltsame Weise erneuert aus dem Busch gekommen.

DIE NACHWIRKUNGEN

Als alles vorbei war, als sich der Staub gelegt hatte und der Elefant weitergezogen war, zitterte ich – nicht vor Schwäche, sondern vor Erleichterung. Ein Lachen stieg in mir auf, geschockt und hell, als ob mein Körper das überschüssige Adrenalin irgendwie loswerden musste. Keith und mein Mann nickten mir zu und hatten ein kleines Lächeln im Gesicht.

Ich fühlte mich beschwingt – nicht weil ich furchtlos war, sondern weil ich mich der Angst mit jeder Faser meines Seins gestellt hatte. Ich hatte vertraut, wo ich keine Kontrolle hatte. Ich hatte Erschöpfung, Durst, Fliegenschwärme und die erdrückende Last der Zweifel durchgestanden und war gleichwohl auf der anderen Seite angekommen.

Ja, meine Angst ist mir peinlich. Sie demütigt mich. Aber ich bin auch dankbar. Denn sie erinnert mich an das, was auf dem Spiel steht. Sie erinnert mich daran, dass es beim Jagen, wie im Leben, nicht um Kontrolle geht. Es geht um Hingabe. Darum, sich immer wieder dem Brüllen der Natur zu stellen und im Chaos eine Art Ordnung zu finden, die nur das Herz erkennen kann.

Die Angst hatte mich nicht verlassen, aber ich hatte sie getragen – und sie hatte mich getragen.

WARUM ES WICHTIG IST

Wir leben in einer Welt, die uns einredet, Sicherheit sei das höchste Ziel. Bleib zu Hause. Mach es dir bequem. Bleib am Leben. Doch im Veld hat Komfort keinen Platz. Die Sonne brennt. Die Dornen stechen. Der Elefant greift an. Und in solchen Momenten wird dir bewusst, dass nur Eines schlimmer ist als der Tod: nicht wirklich gelebt zu haben.

In vollen Zügen zu leben bedeutet, das Unbekannte anzunehmen. Zu akzeptieren, dass auf uns alle der Tod wartet, aber dass das Leben nur dann ein Geschenk ist, wenn wir es verletzlich, leidenschaftlich und voller Vertrauen zu leben wagen.

Wir erkunden die wunderbare Realität des Lebens und die kompromisslosen Chancen, die wir nicht fürchten, sondern mutig ergreifen sollen. Chancen, die uns verbinden.

Vor dem Getöse zu fliehen, mag sich in jenem Moment gut anfühlen. Es mag uns in trügerischer Sicherheit wiegen. Doch in Wahrheit raubt es uns die Möglichkeit zu wachsen, uns lebendig zu fühlen, die tief in uns schlummernden Träume zu verwirklichen.

Ich bin nicht furchtlos. Ich habe Angst. Oft. Angst im Cockpit. Angst im Veld. Angst, wenn sich das Tier wendet und mich fixiert. Angst, wenn ich Kilometer um Kilometer in der sengenden Sonne laufe, meine Schulter brennt und Fliegen mich blutig stechen.

Das ist es. Es ist Wahnsinn.

Und doch antwortet immer eine andere Stimme: Geh trotzdem weiter.

Vielleicht kennst du das auch. Am Rande von Weite und Ungewissheit stehend, hast du das Getöse gehört und wolltest am liebsten fliehen. Und wenn du den Schritt nach vorn wagst – zitternd, mit klopfendem Herzen, aber ungebrochen – wirst du vielleicht, wie ich, entdecken, dass Angst nicht das Ende der Fahnenstange ist, sondern der Anfang.

Denn du hast dich entschieden, dem Getöse entgegenzulaufen.

Dieser Artikel wurde erstmals in der 2026 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.

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