E ine Diskussion am Lagerfeuer über Jagdgewehre folgt ihren eigenen Gesetzen. Hier werden Glaubensgrundsätze über Kaliber in Stein gemeißelt bis zur dogmatischen Binsenweisheit. Eine Diskussion, auf die man sich besser nicht einlässt, wenn man nicht bereit ist, sich im Kreise zu drehen bis das Kreuz des Südens hinter dem Horizont versinkt. Eine kritische Anmerkung zu einer gelobten Waffe/Kaliber Kombination hat schon so mancher Freundschaft Risse beigebracht.
Wo immer Jäger zusammenkommen ist die Diskussion, welches die perfekte Jagdpatrone ist, lebendig. Im Zeitalter globalen Flugverkehrs ist es anscheinend dringend nötig, ein bestimmtes Kaliber auf das goldene Podest der unerreichten Überlegenheit und des geradezu unvermeidlichen Jagderfolgs unter allen nur denkbaren Bedingungen zu hieven.
Diskussionen wie diese waren sicher immer eine treibende Kraft hinter der Entwicklung von Jagdwaffen – von der Vorzeit bis zur Gegenwart mit der Einführung des rauchlosen Pulvers 1884.
Dieses Datum markiert den Schritt zur Einführung von kleineren Kalibern mit geringerem Hülsenvolumen. Die Einführung der französischen 8x50R Lebel Patrone setzte 1886 neue Standards in der Ballistik, die 1887 mit der .303 British und 1888 mit der 8x57J Mauser noch deutlicher akzentuiert wurden. Aus der Letzteren entstand durch Umformen der Hülse eine ganze Familie von Kalibern, 6mm (und sogar bis 5,6mm) bis zu 10,75mm. 1906 folgte die ehrwürdige .30-06 Springfield, die ebenfalls zu zahlreichen Variationen der Hülsenform animierte. Die meisten dieser Kaliber setzten die Annahme um, dass eine langsame, schwere Kugel das Optimum sei.
Bereits vor 1940 waren einige Hochgeschwindigkeits-Patronen, wie die .220 Swift, .270 Winchester. .300 Holland & Holland Magnum, sowie einige von deutschsprachigen Entwicklern wie Halbe & Gerlich, Brenneke und vom Hofe auf dem Markt. Diese Kaliber fanden jedoch keine nennenswerte Verbreitung, bis Roy Weatherby mit einer meisterhaften Marketing-Kampagne die jagdliche Welt davon überzeugte, dass ein „hydrostatischer Schock“ von einem rasanten Geschoss beim Auftreffen im Ziel das Nervensystem in Folge einer Druckwelle im wasserhaltigen Gewebe ausschaltet. Auf der Basis der Power-Miller Venturi Free Bore Patronen mit Schulter und Doppelradien schuf er, auf seine Theorie setzend, seine eigene, beeindruckende Magnum Reihe mit Gürtelhülse.
Die Theorie vom hydrostatischen Schock wird von vielen kontrovers diskutiert, besonders afrikanisches Wild reagiert auf Schüsse mit Magnum Kalibern oft nicht so wie die Werbung verspricht. Trotzdem kamen die „Magnums“ in der jagdlichen Welt in Mode, da unter anderem durch die gestrecktere Flugbahn größere Schussentfernungen unproblematischer wurden. In diesem Zuge entstanden Kaliber wie die .264 Winchester Magnum, 7mm Remington Magnum, .300 Winchester Magnum während in der deutschsprachigen Welt der Stern der 7×64 auf Kosten der 7×57 aufging. Die Idee „Schneller ist besser“ bescherte auch der 8x68S ihren Erfolg und schickte so alte Gefährten wie die 8x57JS, 8x60S und 8x64S mit weniger beeindruckender Papierform in den vorzeitigen Ruhestand. Schließlich schob die 8mm Remington Magnum die Leistung noch weiter nach oben.
Die Hochgeschwindigkeits-Anhänger begrüßten stürmisch neue Hülsen-Designs mit noch größerer Kapazität. Die 7mm Shooting Times Westerner (eine 8mm Rem. Mag. mit eingezogenem Hülsenmund) von Layne Simpson ist ein Beispiel. Die finnischen Unternehmen Lapua und Sako entwickelten gemeinsam mit British Accuracy International die 1988 als Militärpatrone für große Einsatzentfernungen vorgestellte .338 Lapua Magnum. Aubrey White hielt den Ball im Spiel mit der 1989 präsentierten „Imperial Hunting Series“ auf der Basis der .404 Jeffrey Hülse, die auf verschiedene Kaliber eingezogen wurde. In Anlehnung an diese Designs brachte Remington 1999 die Remington Ultra Magnums auf den Markt. Dies löste das Erscheinen der hochpräzisen „Bean Field Rifles“ aus, gedacht dafür, einen Hirsch am anderen Ende eines texanischen Bohnenfelds, jenseits der 600 Meter Marke, zu erlegen. Firmen wie A-Square, Dakota, Weatherby, Lazzaroni und Sabi Arms aus Südafrika mit der .338 Voschol (einer eingezogenen .500 Jeffrey) befassten sich ebenfalls mit dem Konzept.
Die Hersteller von Zielfernrohren taten das ihre, um hoch vergrößernde Instrumente mit bis zu sechzig-facher Vergrößerung, teilweise mit integrierten Laser Entfernungsmessern, anzubieten, damit diese Lauf-fressenden Rückstoß-Monster auf unglaubliche Entfernungen zielgenau abgefeuert werden können.
Um nicht den Anschluss zu verlieren, führte Winchester im Jahr 2000 das von Lazzeroni inspirierte Short Magnum Konzept ein. Remington und Ruger folgten alsbald. Eine gekürzte .404 Jeffrey Hülse wurde mit dem Argument, dass der Verzicht auf eine Gürtelhülse Vorteile bei der Patronenzufuhr und dem Verschlussabstand mit sich bringe, verwendet. Außerdem solle die kürzere und dickere Pulversäule gegenüber den konventionellen Magnum Designs Vorteile bei der Präzision bieten. Von den Befürwortern des Konzepts wird auch immer wieder ins Feld geführt, dass ein Kurzsystem immer mit Gewichtsersparnis einhergeht und dabei auf Leistung aber nicht verzichtet werden muss. Neuere Entwicklungen, wie die .375 Ruger von 2007 und diverse Blaser Designs von 2009 folgen ebenfalls dem Konzept hoher Leistung aus einem Kurz- oder Standard-System kombiniert mit einer Hülse ohne Gürtel.
Entwicklungen wie die .376 Steyr, .338 Federal, .45 Blaser und 8,5×63 Reb wenden sich von der High-Speed-Hype ab, wurden vom Markt aber nur verhalten aufgenommen.
Was bedeutet diese Situation für den anspruchsvollen Jäger von heute? Führt bei der Entscheidung für eine Jagdwaffe kein Weg an den modernen Hochgeschwindigkeits-Kalibern vorbei?
Der spanische Philosoph Ortega y Gasset (1883 – 1955) teilt in seinem Buch „Meditationen zur Jagd“ 1942 seine Gedanken dazu – fundamentale Einsichten, natürlich aus einer anderen Zeit und Epoche, die aber sehr wohl der Betrachtung wert sind.
Y Gasset hat bereits die Entwicklung von der Erweiterung der eigenen Fähigkeiten hin zu technischen und gesetzlichen Bedingungen und Überlegungen vorhergesehen. Er führt aus: „Die erwachsene Vernunft wendet sich anderen Geschäften und nicht der Jagd zu. Wenn sie sich mit dieser befasst, so bekümmert sie sich mehr um Fragen die ihr vorangehen oder am Rande liegen.Sie wird sich sehr ernsthaft darum bemühen, mit wissenschaftlichen Mitteln die geeigneten Tierarten zu pflegen und zu schützen, die Hunderassen auszuwählen, gute Jagdgesetze herauszubringen, die Gehege gut zu organisieren und sogar Waffen herzustellen, die innerhalb sehr enger Grenzen zuverlässiger und wirksamer sind. Aber bei all dem wird ein Gedanke vorherrschen: zu verhindern, dass die Ungleichheit zwischen Wild und Jäger allzu groß wird;“
Man kann interpretieren, dass sich der Mensch immer weiter von der Natur entfernt und dabei seine jagdlichen Fähigkeiten zunehmend einbüsst. Das Wesen der Jagd an sich hat sich folglich über Jahrhunderte hinweg nicht verändert, davon abgesehen, dass der Erfolg des Jägers heute in zunehmendem Maße von der Qualität seiner Ausrüstung denn von seinen jagdlichen Fähigkeiten abhängt.
Y Gassets Annahme legt nahe, dass das Prinzip der Waidgerechtigkeit Bestand hat. Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Diskussion über Kaliber. Ist die Praxis, Wild auf große Entfernung zu schießen noch Jagd, oder doch eher schießen auf lebende Ziele?
Wir sollten uns vielleicht unserer vorgeschichtlichen Wurzeln erinnern, die die Jagd legitimieren. Eher unsere jagdlichen Fähigkeiten perfektionieren, als uns von Flugbahndaten, Geschwindigkeit und anderen technischen Details ablenken zu lassen, und uns so wieder von den Ur-Instinkten, die den Jäger ausmachen, leiten zu lassen. Bestimmt wird ein Jäger, der praxisgerecht übt, auch ein treffsicherer Schütze und erfolgreicher Jäger, ohne auf Hochgeschwindigkeits-Patronen und optische High-Tech Instrumente angewiesen zu sein. Die tiefere Bedeutung der Jagd, wie y Gasset so treffend formuliert, sollte nicht verloren gehen:
„Man jagt nicht um zu töten; im Gegenteil, man tötet um gejagt zu haben…würde man einem Jäger den Tod des Tieres zum Geschenk machen, er würde ablehnen. Was er sucht ist die Herausforderung es zu erlegen, es durch seine eigenen Anstrengungen und Fähigkeiten zu besiegen, mit allem was dazu gehört: das Eintauchen in die Landschaft, die Natürlichkeit seines Tuns, der Ablenkung von seiner Arbeit.“
Namibia bietet großartige Möglichkeiten diese gesamte Erfahrung zu erleben, einschließlich der unterschiedlichsten einsamen Landschaften, die oft nur die Jahreszeiten als einzige Veränderung erleben. Die Wahl des Kalibers ist immer eine persönliche Entscheidung, die nicht nur auf technischen Daten basieren sollte. Die altbewährten Kaliber bieten alle mal genug Leistung auch in der heutigen Zeit – vorausgesetzt, die Regeln der Waidgerechtigkeit finden Beachtung. Kameradschaft und eine verlässliche, präzise Büchse sind Teil der wertvollen Erfahrung der Natur unter dem afrikanischen Sonnenuntergang. Die nachhaltige Jagd beschert einem Erlebnisse und Begegnungen, die es wert sind am Lagerfeuer erzählt zu werden, selbst wenn die Mühen der Jagd nicht zum Erfolg geführt haben.
Dieser Artikel wurde erstmals in der 2014 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.