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Die vegane Jägerin

Haupt Foto ©Paul van Schalkwyk

Ich bin 22 Jahre alt und komme aus Deutschalnd. Mit 16 habe ich die Realschule abgeschlossen und mein Elternhaus für die Ausbildung  zur Gesundheits- und Krankenpflegerin verlassen. So habe ich frühzeitig gelernt, auf meinen eigenen Füßen fest im Leben zu stehen. Von Julia Labuschagne

M eine Eltern hatten es aus kulinarischer Sicht schwer, als ich eines Tages als Vegetariern nach Hause kam und sogar versuchte, ihre Essgewohnheiten auf „Vegan“ umzustellen. Ich konnte stundenlang darüber philosophieren, warum ein jeder sich zumindest(!) vegetarisch ernähren sollte. Ich besuchte sogar einen veganen Kochkurs. Und konnte mich riesig aufregen, wenn man extra für mich Fisch servierte. „Das ist auch ein Tier! Ess ich nicht.“

Mein größtes Anliegen: die scheußliche Massentierhaltung.
Nachdem ich nach erfolgreich bestandenem Examen ein Jahr als Gesundheits- und Krankenpflegerin tätig gewesen war, wollte ich mir den Traum eines Auslandspraktikums erfüllen. Als Pferdeliebhaberin und jahrelange Reiterin vorzugsweise mit Pferden. Bewerbungen wurden an verschiedenste Orte der Welt versendet. Schließlich entschied ich mich für eine Praktikantenstelle auf einer Farm in Namibia. Doch während meiner Reisevorbereitungen wurde mir langsam bewusst, dass ich es als Vegetarier wohl schwer haben würde: Tofu und Soja schien nicht bevorzugt auf der Speisekarte der Namibier zu stehen. Aber mal schauen.

Angekommen auf der Farm, wurde ich im Esszimmer mit Trophäen eines Oryx und eines Wasserbocks „begrüßt“. Da ich erst in der Nacht die Farm erreichte und sich auf dem Weg im Dunkeln kein Wild gezeigt hatte, war dies meine erste Begegnung mit diesen Tieren. Und dann kam da auch schon mein Abendessen – Oryxsteak! Willkommen in Namibia!

Als Praktikant war eines meiner Aufgabenfelder auch die Küche. Da kommt man um das sogenannte Schlachthaus nicht herum. Es ist ein Kühlhaus, in dem neben anderen Vorräten auch das Wildfleisch abgehängt und aufbewahrt wird. Denn nicht nur Eier, Milch und Gemüse kommen von der Farm selbst, sondern auch das Fleisch, das „erjagt“ wird. Ich werde das recht flaue Gefühl im Magen nicht vergessen, als ich zum ersten Mal das Schlachthaus betrat. Doch schnell lernte ich auch hier anzupacken.

Natürlich arbeitete es in mir. Mein größtes Anliegen war ja mein Protest gegen die Massentierhaltung. Hier jedoch bekamen wir Eier von freilaufenden Hühnern und Milch von Kühen, die viele Hektar große Weideflächen haben. Das wirkte doch alles sehr natürlich. Ich begann alles zu essen, auch das Fleisch. Aber ganz so einfach ist das nicht. Ich begann mich zu fragen: wie kann ich das Fleisch essen, jedoch die verurteilen, die das Tier für dich töten? Bin ich nicht Teil davon, wenn ich am Ende das Fleisch verzehre?

So lud mich der Farmer eines Tages ein, mit zur Jagd zu kommen. Mein Patenonkel war selbst Jäger und wenn ich ihn besuchte, lud er mich immer auf die Jagd ein, jedoch traute ich mich nicht. Nun bereute ich das und nahm die Einladung des Farmers an. Wir bemühten uns insgesamt drei Tage lang, bevor ein Kudu erlegt wurde. Zu meiner Überraschung war es gar nicht so schlimm, und wir hatten wirklich dafür gearbeitet. Nach der Jagd gehörte für mich natürlich das Aufbrechen und Zerlegen dazu, und auch das meisterte ich. Das Abendessen wirkte an diesem Abend ganz anders auf mich, jedoch im positiven Sinne. Ich hatte kein schlechtes Gewissen mehr im Hinterkopf.

Doch ein Vorurteil blieb. Trophäenjagd. Wie kann man diese wunderschönen Tiere nur ihrer Hörner wegen abknallen, dachte ich mir. Es kam wie es kommen musste: Irgendwann kamen Trophäenjäger zu Gast. Meine Vorfreude hielt sich in Grenzen, jedoch blieb ich professionell und hieß Gäste und Jagdführer willkommen.

Gemeinsam mit dem Jagdführer, der einen sehr sympathischen Eindruck machte, hatte ich die Gäste zu versorgen und bereitete alles für die bevorstehende Jagd vor. Schon am Ankunftstag wollten die Herren los, um das Revier zu erkunden. Da hielt ich mich schön heraus. Während der nächsten Tage waren die Jäger erfolgreich und kamen jeden Tag müde nach Hause. Das Mittagessen wurde schon mal ausgelassen, wenn ein Tier angeschossen worden war. Da musste dann auch der Gast die Zähne zusammenbeißen, bis die Nachsuche erfolgreich abgeschlossen war.

Eines Abends kam der Jagdführer, Divan Labuschagne, erst sehr spät vom Schlachthaus zurück. Er hatte noch ein blutverschmiertes Hemd an, wirkte müde, aber doch zufrieden, und passte so garnicht in das Feindbild vom „bösen Jäger“. An diesem Abend hatten wir unsere erste Unterhaltung über die Trophäenjagd, denn wie schon erwähnt, kam es mir gar nicht in den Sinn, dass diese Tiere nicht nur wegen ihrer Hörner, sondern aus so vielen anderen Gründen erlegt werden und dass das Fleisch verarbeitet wird.  Er machte mich neugierig, ich konnte seine Leidenschaft zur Natur, zu wilden Tieren und zur Jagd nahezu fühlen. Er zeigte mir viele Bilder und versuchte mir die Trophäenjagd näherzubringen. Im Nachhinein gesehen war das wohl unser erstes Date.

“ Doch ein Vorurteil blieb. Trophäenjagd. Wie kann man diese wunderschönen Tiere nur ihrer Hörner wegen abknallen, dachte ich mir. „

Wir verbrachten nun sehr viel Zeit miteinander, ich reiste mit ihm ein wenig durchs Land, lernte Freunde und Familie kennen. Zum ersten Mal besuchte ich einen Präparatoren Betrieb, der Ort, wo die Trophäen präpariert werden. Das stellt man sich zunächst etwas gruselig vor: typischerweise so, wie es in Filmen dargestellt wird. Ist es jedoch ganz und gar nicht. Zusammen mit den Jägern, die ich mitbetreut hatte, wurde ich durch den Betrieb geführt. Interessant für mich war, dass die Jäger teils eine genaue Vorstellung davon hatten, wie die von ihnen erlegten Tiere am Ende präsentiert werden sollten. Hinter jedem einzelnen Tier war eine Geschichte, ein Erlebnis, es ist nicht anonym gestorben, und das Fleisch ernährte nun die Farm inklusive der Arbeiter.

Der Farmer, bei dem ich das Praktikum absolvierte, zeigte mir sogar Fotos wie er oftmals Schulen in den ärmeren Regionen mit Fleisch und anderen Lebensmitteln versorgte. Ich begann nun Einblick in Umstände und Nutzen der Trophäenjagd zu gewinnen. Aufgrund der Möglichkeit das Wild jagdlich zu nutzen, tolerieren die Farmer die wilden Tiere, sogar Raubwild, neben ihrem Nutzvieh. Es ist eben das genaue Gegenteil der intensiven Massentierhaltung. Aufgrund der Jagd werden dem Wild Lebensräume erhalten, die ansonsten durch Intensivierung der Landwirtschaft zerstört würden.  Die Einnahmen fließen dem Land, der örtlichen Bevölkerung und der Naturschutzbehörde zu und werden wieder in die Natur und den Wildschutz investiert. Alles ist behördlich streng reglementiert, und es werden Arbeitsplätze in einem Land geschaffen, das immens hohe Arbeitslosenzahlen hat.

Mein Leben schien Kopf zu stehen. Ich entschied mich auszuwandern und zu heiraten, er ist der Richtige.

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Julia Labuschagne lernte ihren Mann Divan auf der Farm ihres Patenonkels in Namibia kennen.

Zurück in Deutschland bekam ich 100%ige Unterstützung von meinen Eltern und engen Freunden. Aufgrund meiner neuen Einstellung, die ich nun infolge meiner eigenen Erfahrung hinsichtlich der Jagd vertrete, verlor ich jedoch auch Freunde und selbst  Teile der Familie zeigten sich abwertend. Spott wie „vegane Jägerin, lol“ waren nicht selten. Und das obwohl sich meine Einstellung zur Massentierhaltung bis heute nicht verändert hat. Nun ja, ich selbst war ja mal ähnlich. Ohne die Kenntnis der Umstände entstehen aus der Ferne schnell Fehlurteile. Doch stand ich in Deutschland beim Kauf des Fleisches im gewöhnlichen Supermarkt wieder vor einer kulinarischen Problematik samt diesem lästigen schlechten Gewissen im Hinterkopf.

Nach 5 Monaten in Deutschland saß ich erneut im Flieger, zurück zu meinen Traummann und meinem neuen Leben. Meine Registrierung zur Krankenschwester nahm einige Monate in Anspruch und so verbrachten wir viel Zeit zusammen in der Natur. Er konnte ein strenger Lehrer sein. Zunächst hieß es erst einmal nur mitkommen und zuschauen. Schnell wurde mir klar, dass es nicht allein um die Größe der Hörner geht, sondern vielmehr die Jagd auf das alte männliche Tier, das aus dem Fortpflanzungsalter ist. Das macht die Jagd nicht einfach. Für die Tiere gehört gejagt werden von Geburt an zum Leben, diese alten Burschen sind also erfahrene Überlebenskämpfer. Das erfordert vom Jäger entsprechendes Wissen über die Natur und das Wild selbst. Dazu körperliche Fitness.

Schnell habe ich gelernt, dass man sich mit einigen ethischen Fragen auseinandersetzen muss. Ein Schakal, Gepard oder Löwe macht das ganz sicher nicht, diese Jäger haben einfach nur Hunger. Da wird auch mal mit der Mahlzeit begonnen, bevor die Beute tatsächlich tot ist. Da wird auch mal eine Kudukuh gerissen, die ihr Kalb irgendwo im Busch abgelegt hat, das dann elendiglich verhungern muss. So ist die Natur, das vergisst man leicht.

Nach einigen Wochen täglicher Theorie und Waffenkunde durfte ich zum ersten Mal selbst zur Jagd. Mein Mann als Jagdführer. Insgesamt vier Tage Pirsch, bis der tödliche Schuss fiel. Mein erster Springbock. Mehrere Tage streiften wir durch den Busch, auf der Suche nach dem richtigen. Dieser lahmte sichtlich, mehrmals hatten wir die Gelegenheit, jedoch wechselte der Wind oder der Springbock stand bedeckt. Die Emotionen sind schwer zu beschreiben. Von dem Moment in dem man das Stück ausmacht und den Beschluss fast, dieses wird es sein, zu dem Moment in dem man auf es zielt, der Schuss, der Fall. Mein Springbock ging sofort zu Boden, tot. Zum einen das Glücksgefühl, dass es erfolgreich erlegt wurde, mit einem tödlichen Treffer, dass das Tier nicht leiden musste. Trauer über den Tod. Dankbarkeit. Ich selbst handhabe nun das Ritual, noch einmal still niederzuknien und danke zu sagen, die letzte Ehre zu erweisen, es noch einmal schön zu positionieren, bevor es verladen, dann aufgebrochen und das Fleisch verarbeitet wird. Mein erster Springbock hatte eine böse Verletzung an einem Hinterbein. Es war schwarz, die Hälfte bereits abgestorben, er muss wohl in die Schlinge eines Wilderers geraten sein. Die Tiere sterben darin elendig, oder verletzen sich „ nur“ und sterben später an den Folgen der Schlinge.
Nachdem ich nun tatsächlich auch praktisch Jägerin war, hatte ich es nicht mehr leicht – schnell wurde ich auch als Killer bezeichnet. Es tat weh, wie die Menschen, die mir nahestanden, reagierten. Ich war noch immer dieselbe, liebte Tiere und Natur mehr als zuvor. Ich bin noch immer die, die sich eine Tierdokumentation anschaut und anfängt zu weinen, sobald eines der Tiere stirbt. Und doch jage ich.

Es ist verletzend zu lesen und zu hören, wie Jäger mit Wilderern verglichen werden oder gar als Mörder bezeichnet werden. Man muss die Natur wirklich kennen – nicht nur distanziert aus der Ferne – um dies alles verstehen zu können. Selten habe ich Menschen getroffen, die so eins mit der Natur sind wie hier. Die Familie meines Mannes nennt ihn liebevoll Buschmann, da mein Mann im Busch geradezu aufblüht.

Ich lebe nun sehr glücklich zusammen mit meinen Mann in Namibia. Nebenbei arbeite ich als Krankenschwester in einem kleinen Krankenhaus. Zwei Wochen Krankenschwester, zwei Wochen im Monat Farmersfrau. Schon auf den Weg ins Dorf kann ich es nicht erwarten, wieder zurückzukommen. Eine biologische Ernährung ist uns sehr wichtig. Hühner, Milchkühe und Milchziegen sowie ein Gemüsegarten und die Jagd machen sie für uns möglich. Die Hühner laufen frei herum, die Kühe, Ziegen und Pferde haben eine viele Hektar große Weidefläche. Ich persönlich kann mir nichts Besseres vorstellen. Dabei darf man nicht vergessen, es ist Afrika, die Zeit ist hier eine ganz andere. Und nicht umsonst sagt man hier ganz gerne wie auf Afrikaans: „Afrika ist nichts für Sissis“.

Dieser Artikel wurde erstmals in der 2016 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.