Nach einer Weile sahen wir einen dritten Schakal näherkommen, und ich dachte, dass der Leopard nun endgültig ausgetrickst werden würde. Die beiden anderen Schakale waren noch mit ihrem Spiel beschäftigt, und der dritte schien sofort mitmachen zu wollen. Doch als er bemerkt wurde, war rasch klar, dass er ein Eindringling war. Die ersten beiden gingen sofort auf den dritten los. Besonders einer von ihnen jagte dem Außenseiter hartnäckig hinterher – der wich zunächst seitwärts aus, dann aber flitzte er davon, mit dem anderen dicht auf den Fersen. Sie rasten durch eine kleine Rinne, und als sie auf der anderen Seite herauskamen, tauchte dort auch ein Steinböckchen auf, etwas verwirrt. Das Steinböckchen floh einen kleinen Hügel hinauf und beäugte von dort die beiden Schakale, die nach links und dann wieder zurück schwenkten. Aus irgend einem Grund beschloss das Steinböckchen, dass er aus dem Weg gehen sollte, doch dabei geriet er genau dorthin, wo die Schakale gerade zurückkamen. Der erste Schakal hatte ihn bereits passiert, als ihn der zweite bemerkte. Der Schakal hörte auf, seinen Artgenossen zu verjagen, und verfolgte stattdessen das Steinböckchen. Er holte schnell auf, doch bevor wir etwas Dramatisches beobachten konnten, verschwanden beide hinter einem Hang.
Zurück am Riss befand sich der Leopard wieder unter seinem Baum, und von dem anderen Schakal war nichts zu sehen.
Ich nutzte die Gelegenheit und verschwand für einige Minuten hinter den Büschen oberhalb unseres Aussichtspunkts. Als ich zurückkam, war das Schakal-Duo wieder da, und der Leopard näherte sich gerade seiner Giraffe. Vermutlich hatte er mich über den Kamm kommen sehen, denn er blickte zu mir auf, duckte sich und verschwand flugs von der Bildfläche. Es ärgerte mich ein bisschen, dass ich ihn gestört hatte, aber wenigstens hatten jetzt die Schakale die Gelegenheit, an den Riss zu gelangen und sich satt zu fressen. Für uns war die Aufregung vorerst vorbei, und nach mehr als einer Stunde konnten wir uns endlich auf die Suche nach unserer eigentlichen Beute konzentrieren. Wir sahen viel Wild, und gerade als wir es für den Vormittag gut sein lassen wollten, kreuzte ein junger Kudubulle unser Sichtfeld. Obwohl er kein schussfähiges Tier war, schien sein Anblick den ereignisreichen Morgen abzurunden. Als der Kudu verschwunden war, begannen wir zusammenzupacken. Doch bevor wir aufbrechen konnten, entfaltete sich die finale Szene. Eine Gruppe Giraffen näherte sich von Nordosten. Zuerst sah es so aus, als wären sie nur auf dem Weg zur Wasserstelle oder um ihr Äsungsgebiet zu wechseln. Sie kamen jedoch direkt zum Schauplatz des morgendlichen Spektakels, das offenbar auch das Drama der vergangenen Nacht war. Rasch wurde klar, dass dies die Gruppe war, aus der das Giraffenjunge stammte. Die Giraffen schritten alle zum Ort des Geschehens und umkreisten für eine Weile nervös das tote Giraffenjunge, bis eine Kuh daran schnupperte, während die anderen einfach in einem Halbkreis ringsum standen. Was für eine unheimliche und beklemmende Atmosphäre!
Als die Giraffen weitergezogen waren, konnten wir endlich hinuntersteigen. Auf dem Weg zum Auto untersuchten wir die Leoparden-Beute. Ich fragte mich immer noch, wie er es geschafft hatte, das kleine Giraffenkalb zu töten, wo die Mutter ihr Junges doch sicher mit aller Kraft verteidigt hätte. Bei genauerer Untersuchung bemerkten wir, an der Kehle zwar Bissspuren waren, dass aber der Schädel der kleinen Giraffe völlig zertrümmert war. Unsere einzige logische Erklärung war, dass die Giraffenkuh in ihrem Bemühen, ihr Kalb zu schützen, es gegen den Kopf getreten und dadurch getötet haben musste. Tragisch aus menschlicher Sicht, aber ein „normales“ Ereignis in der Natur.
Einige Tage später waren nur noch ein paar Haarbüschel und winzige Knochensplitter übrig – die Natur hatte ihr Werk vollbracht.
Manche kleinen Begebenheiten, die ein Jäger draußen in der Wildnis erlebt, geraten in Vergessenheit oder wandern ins Unterbewusstsein und kommen erst wieder zum Vorschein, wenn bestimmte Sichtungen oder der Aufenthalt in der selben Gegend die Erinnerung wecken. Eine solche Erinnerung, die ich völlig verdrängt hatte, kam mir wieder in den Sinn, als wir im August (erfolgreich) Klippspringer jagten. Wir jagten in einem Gebiet, in dem grauschwarzes Gestein vulkanischen Ursprungs mit sehr hohem Eisengehalt überwiegt. Oft klirrt es metallisch, wenn beim Darübergehen Steine aneinanderstoßen.
Ich erinnerte mich, dass ich in genau diesem Gebiet vor fünf oder sechs Jahren beobachtet hatte, wie eine der endemischen Schwarzen Mangusten etwa fünf bis zehn Minuten lang einen Klippspringer hin und her jagte. Natürlich war der Klippspringer zu groß, um der Manguste zum Opfer zu fallen, und es wirkte fast, als ob sie miteinander spielten. Auch das war eine jener Beobachtungen, die für unsere Jagd völlig nebensächlich waren, aber genau sie machen die Zeit in der Natur so wertvoll.
Vermutlich hat jeder Jäger ähnliche Erinnerungen, die dann und wann wieder auftauchen (oder auch nicht). Für mich sind sie ein wesentlicher Bestandteil meiner Jagdmotivation. Beispielsweise erinnere ich mich an einen rundum goldglänzenden Käfer, den ich vor 15 Jahren bei einer Elefantenjagd in der BuschmannlandJagdkonzession fand. Oder an die Kameradschaft mit den SanFährtenlesern, als ich als Teenager bei einer Leopardenjagd aushalf (ich war der Fahrer für die Jagdgruppe, die im Jagdschirm ansaß, während ich mit den Fährtenlesern am Wagen wartete).
Oder die Erinnerung an einen frühen Morgen in meinem Jagdgebiet, als ich zwei Braune Hyänen beobachten konnte, die im ersten Sonnenlicht zu ihrem Bau in einem eindrucksvollen Granitgebiet zurückkehrten.
Die eigentliche Jagd trägt natürlich auch zu dieser „Million kleiner Dinge“ bei.
Zum Beispiel, wenn man einen alten Gemsbockbullen anpirscht und er noch näher ist, als man „geplant“ hatte. Wenn man jedes einzelne Haar auf seiner Decke und die Spiegelung in seinen Augen erkennen kann. Der Jäger hebt langsam sein Gewehr mit offener Visierung und gibt den Schuss auf weniger als 30 Meter ab.
Oder die Erleichterung und das Gefühl der Erfüllung, wenn man das zerlegte Fleisch eines Hartmann-Zebras oder Kudu-Bullen aus den Bergen zu der nächsten Stelle gebracht hat, die für den Jagdwagen erreichbar war.
Oder lange Nächte am Lagerfeuer, in denen man sich angeregt mit Jägern unterhält, die zu Freunden geworden sind. Oder zuzusehen, wie die eigenen Kinder die kleinen Wunder der Natur entdecken.
Unsere immer schnelllebigere Welt macht sich auch in der Jagd bemerkbar. Oft gewinnt man den Eindruck, dass es bei dem Erlebnis Jagd und dem Sammeln von Erinnerungen vor allem darum geht, in kürzester Zeit möglichst viel zu erbeuten und damit beim abendlichen Beisammensein zu prahlen. Ich wünsche mir und hoffe, dass jeder Jäger ab und zu die kleinen Momente und Dinge findet – und sie zu schätzen weiß. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass Jagen nicht eine große Sache ist, sondern eine Million kleiner Dinge.