Der Angriff schlug fehl und zwei bis drei starke Pavianmännchen griffen – unter lautem Geschrei der restlichen Mitglieder der Gruppe – ihrerseits den Leoparden an und verfolgten ihn, bis er keine Gefahr mehr darstellte. Zur selben Zeit haben wir auch die ersten weiblichen Kudus in diesem Bereich des Jagdgebiets ausgemacht. Wir glasen die Gruppe und die Umgebung lange ab, um eventuell einen Kudu- Bullen zu entdecken. Jedoch erfolglos.
Nach einer kühlen Nacht und einem noch kälteren Morgen fahren wir in das Gebiet, in dem wir am Vortag die Gruppe weiblicher Kudus gesehen hatten. Wieder der übliche schnelle Aufstieg zu einem Beobachtungsposten zwischen den Felsen mit der Sicht in ein Tal und in einen Berghang. Beim Übersteigen der Kuppe entdeckt uns eine Herde Zebras und flüchtet mit lautem Poltern im Gegenhang.
Nach längerem Abglasen entdeckt Hagen die Kudus vom Vortag circa 1000 Meter entfernt. Dieses Mal ist ein Bulle bei der Gruppe aus drei Kühen und einem Kalb. Ein weiterer Bulle folgt dem Verband, wird aber vom ersten Bullen abgedrängt. Bei mir steigt die Anspannung. Ob es heute wohl gelingen wird, dieses wunderschöne Tier zu erbeuten? Wir beratschlagen das weitere Vorgehen. Da wir annehmen, dass die Gruppe aus dem Berg herunter zum Khan ziehen wird, steigen wir von unserem Aussichtspunkt ab, überqueren eine kleine Ebene und besteigen eine Felsformation, die in der vermuteten Zugrichtung der Kudus liegt. Nach Hagens Einschätzung erfüllt der sich bei der Gruppe befindende Bulle die Kriterien des Erongo-Verzeichnisses. Die Gruppe ist etwa 750 Meter von unserer neuen Position entfernt. Die endgültige Freigabe erfolgt, wenn der Bulle näher gekommen ist. Langsam äsend ziehen die Kudus an unsere Felsengruppe heran. Dabei bewegen sie sich vor uns im Busch von rechts nach links. Besonders, wenn der Bulle im Busch verharrt, habe ich aufgrund seiner hervorragenden Tarnung große Mühe, ihn wieder zu finden.
Wir warten gespannt in den Felsen und suchen bequemere Positionen, aus denen wir die Gruppe beobachten können und gleichzeitig vor dem kalten Wind und der heißen Sonne etwas geschützt sind. Die Kudus legen sich etwa 300 Meter vor uns wiederkäuend nieder. Nach Stunden des Beobachtens, Wartens und Kämpfens gegen die aufkommende Müdigkeit kommen sie wieder in Bewegung und ziehen leicht nach rechts fort. Wir beschließen, unsere Position zu verlassen, um näher an die Gruppe heranzukommen.
Beim schnellen Abstieg aus den Felsen ist ein vermeintlich fester Felsbrocken lose. Jäger und Waffe stürzen, der Fels trifft mich schmerzhaft am Schienbein. Die Waffe und die Zieloptik haben keine offensichtlichen Schäden – ganz sicher bin ich mir aber nicht. Eigentlich war eine leise Annäherung an die neue Position geplant, doch der Vorfall scheint die Kudus nicht gestört zu haben. Unsere neue Position liegt etwa 150 bis 200 Meter von den Kudus entfernt. Wir stehen hinter mannshohen Felsen, die eine gute Auflage abgeben. Ich richte mich sorgfältig ein.
Nach all dem Warten und der Anstrengung darf jetzt nichts mehr schiefgehen. Hagen gibt den Bullen frei. Ich bin völlig ruhig, überrascht, dass ich keinerlei Anzeichen von Jagdfieber habe. Ich werde schießen und treffen, sobald er freisteht.
Eine Kuh zieht nach rechts über eine kleine Freifläche zwischen den Büschen. Kurz danach folgt der Bulle im typischen erhabenen Gang der Kudus, das Haupt leicht gesenkt. Ich folge ihm mit dem Absehen, und als er auf die Freifläche tritt, für einen Moment breit und frei steht, schieße ich hinter das Blatt auf die Kammer.
Der Bulle reagiert auf den Schuss und verschwindet nach rechts in den Busch. Der Kugelschlag war deutlich zu hören. Ich repetiere.
Die Kuh flüchtet etwa 30 Meter von unserer Position vorbei hangabwärts in Richtung Trockenfluss. Der Rest der Herde geht bergauf nach links.
Mit dem Zielfernrohr suche ich den Bullen in den Büschen, bereit zum zweiten Schuss, aber ich kann ihn nicht entdecken. Auch Hagen findet nichts. Der Kudu muss noch in den Büschen sein. Wir warten etwa 20 Minuten und gehen dann langsam zu der Stelle, an der wir den Bullen zuletzt gesehen haben. Ich bin schussbereit, falls es nötig wird.
Er liegt circa 20 Meter vom Anschuss in einer kleinen Senke zwischen Büschen und kleinen Bäumen. Erleichterung. Langsam fällt die Anspannung ab. Die körperliche Anstrengung, der Wechsel von Hitze und Kälte, Durst, Schmerzen, Müdigkeit, Freude und Trauer – alles vereint in diesem Moment, in dem ich an dieses wunderbare Wild herantrete und es zum ersten Mal berühre. Nie fühle ich mich dem Leben näher als bei dieser Art der Jagd. Jagd ist Leben.
Hagen beglückwünscht mich mit einem Schulterklopfen, Worte sind nicht notwendig.
Danach geht er, um den Jagdwagen zu holen. Und ich habe noch etwas Zeit allein mit dem Erongo-Kudu. Ich gebe ihm den letzten Bissen und streiche ihm über Fell und Horn. Dabei sehe ich mich in seinen Augen spiegeln. Unendliche Dankbarkeit, Freude und tiefe Demut erfüllen mich, das erleben zu dürfen. Jagen auf diese Art und in dieser fantastischen Umgebung ist großartig.
Ich beginne mit dem Aufbrechen des etwa acht bis neun Jahre alten Bullen. Wir laden ihn gemeinsam auf, als Hagen mit dem Wagen zurück ist, und fahren zu dem ans Jagdgebiet angrenzenden Gästebetrieb, um ihn weiter zu versorgen.
Zurück im Camp trinken wir beim Abendessen ein zweites Bier auf den Erongo-Kudu und den Jagderfolg. Für mich ist die Jagd abgeschlossen. Weiter zu jagen erscheint mir dem Kudu gegenüber nicht gerecht.
Als das Feuer heruntergebrannt ist, geht ein wunderbarer, denkwürdiger Tag in großartiger Landschaft mit großartigem Wild und einem großartigen Jagdführer zu Ende.
Mein tiefer Dank an alle, die diese Art der Jagd ermöglichen und unterstützen.