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Springbock: Jagen am ursprung

| Haupt Foto ©Paul van Schalkwyk

Der Landrover schaukelt dröhnend durch die Nacht. Endlich blinzelt ganz in der Ferne der rote Schein eines Lagerfeuers. Nach 400 km Fahrt sind wir da, im Wüstencamp am Brandberg. Als der Wagen verstummt, dringt eine überwältigende Stille auf uns ein. Endlich wieder in der Wüste!  Von Ulrich Herzog

D er Mond gießt sein bläuliches Licht über die flachen Schotterebenen. Es ist eiskalt – und wir sind froh, dass Hagen und die Jagdhelfer aus der Tsiseb-Conservancy am Vortag die Zelte aufgebaut und das Camp hergerichtet haben. Im Eisentopf über der Glut dampft das Stew. Wir sitzen am Feuer und feiern den langen Tag bei einer Dose Bier. Insgesamt bin ich jetzt bereits 30 Stunden auf Reise und habe 11.000 Kilometer hinter mich gebracht. Und habe mein Bankkonto geplündert. Ein Riesenaufwand, der noch getoppt wird von den Mühen meines Jagdfreundes Kai-Uwe Denker. Denn der hat in seiner Wüstenkonzession am Brandberg, zusammen mit seinem Sohn Hagen und vier Damara-Helfern, das Camp aufgebaut. Auch das erfordert viel Action und etliche hundert Kilometer mit zwei Landrovern, vollgepackt mit Zelten, Wassertank, Lebensmittelvorräten…

Was für Anstrengungen! Und alles nur, um in the middle of nowhere einen starken Territorialbock zu jagen. Oder vielleicht zwei. Ja, das ist verrückt. Entsprechend waren die Kommentare meiner Freunde. „Springbock in Namibia? Und was jagst du richtig, als Hauptwild?“ Oder auch: „Eine Safari für einen Springbock – ist das nicht etwas daneben?“ Berechtigte Frage. Antidorcas marsupialis springt schließlich überall in Namibia durch den Busch, schon 40 km vom Flughafen Windhuk entfernt. Springbockjagd, komfortabel und stressfrei – mit Unterkunft in exklusiven Bungalows mit Pool und Weinkeller oder luxuriösen Camps mit Strom und Wäschedienst. Bei Abschussgebühren zwischen 150 und 380 Euro ist der Springbock eine attraktive Mitnahmetrophäe. In Ordnung, aber für mich zu einfach. Ich will jagen am Ursprung, alle Sinne fokussiert auf einen alten territorialen Bock, der sich unter harten Bedingungen durchs Leben gekämpft hat. Seit ich auf Kai-Uwes einsamer Farm die spektakulären Trophäen aus dem Damaraland in der Hand hielt, habe ich mich auf das Zelt unterm Kameldornbaum gefreut.

Wüstenpirsch
Die letzten Sterne leuchten noch, als wir am Feuer den Morgenkaffee schlürfen. Ein Keks dazu, das muss reichen für den ersten Marsch in die Weite. Nachts hatten sich blasse Nebelbänke vom Atlantik her herbeigeschlichen. Jetzt hängen die Bäume und Dornen, Sträucher und Gräser voll blinkender Tautropfen. Nur sie machen es möglich, dass die Springböcke in der kargen Halbwüste ihre Fährten ziehen. Irgendwo draußen in den Trockentälern, stelle ich mir vor, pflücken sie jetzt ihr saftiges Frühstück von den Halmen … Wir brechen auf. Der harte, kristalline Boden macht das Laufen zum Vergnügen. Als die Sonne aufgeht, blitzen Millionen weiße Quarzkiesel hell auf. Der majestätische Brandberg breitet blaue Schattenteppiche aus. Außer den Rufen einiger Rüppell-Trappen und dem leisen Klirren der Steine unter unseren Sohlen ist es vollkommen still. Da, ein Löffelhund – wie wir auf Morgenpirsch. Ein paar gebleichte Straußenknochen: Hier machte ein Gepard Beute. Giraffenfährten in einem Trockental, winzige Lerchennester unter winzigen Grasbüscheln – die Wüste lebt.

Nach wenigen Kilometern bietet sich uns der erste Anblick. Weit in der Ferne taucht ein Trupp von acht Springböcken hinter einer Anhöhe auf und zieht, ohne zu verhoffen, seines Weges. Mehrere Gruppen sehen wir in den nächsten Stunden, immer in großer Distanz. Und endlich ein Stück, bei denen das Anpirschen lohnt. Wir prüfen den Wind und hasten los, um uns im großen Bogen anzunähern. Der Pulsschlag steigt. Die Patrone gleitet in die Kammer. Schnell sind wir auf 400 Meter dran. Und Kai-Uwe meint lakonisch: „Voll im Saft, aber nicht, was wir suchen.“

Später, von einem flachen Hügel aus, glasen wir ein verzweigtes Trockental ab. So grenzenlos und einsam das Panorama erscheint, immer wieder gibt es etwas zu entdecken. Eine Riesentrappe, ein Oryx, ein Paar Kampfadler. Winzig und doch in der reinen Wüstenluft glasklar auszumachen. Direkt vor meinem Schuh liegt eine schwarze Pfeilspitze. Ich hebe sie auf und grüße im Stillen den Jäger, der genau hier, genau wie wir, nach dem Wild spähte. Wie nach dem Bock, der jetzt in dem fernen Rivier hinter einem Strauch erscheint. Ich fixiere das winzige Ziel. Alles in mir brennt darauf, loszulaufen. Ich will ihn überlisten, und wenn ich den ganzen Tag marschieren muss! Aber mein Jagdführer bleibt relaxt. Die steile Hornstellung und die etwas ruckartigen Bewegungen verraten – auch dieser Bock ist noch Jugendklasse.

„Ich will jagen am Ursprung, alle Sinne fokussiert auf einen alten territorialen Bock, der sich unter harten Bedingungen durchs Leben gekämpft hat. Seit ich auf Kai-Uwes einsamer Farm die spektakulären Trophäen aus dem Damaraland in der Hand hielt, habe ich mich auf das Zelt unterm Kameldornbaum gefreut.“

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Die wundervolle Landschaft am Brandberg.

Gehörnte Visionen
Jeden Tag streifen wir 15 bis 20 Kilometer durch die minimalistische Landschaft – fast unmerklich gewellt, mit flachen Senken und Rinnen. Hier gibt es weder saftiges Grün noch bunte Blüten. Doch je länger man in der Halbwüste wandert, desto schöner erscheinen ihre zarten, hellen Farben. Immer sehen wir Springböcke. Taxieren ihren Kopfschmuck, den Körperbau, Verhalten und Bewegungsmuster. Insgesamt bestimmt 80 oder 100. Mal sind es Visionen in der flimmernden Hitze, wenn das Schneeweiß ihrer Bäuche mit dem Sand verschwimmt und ihre zierlichen Körper, ockerfarben über dem schwarzen Flankenstrich, über dem Boden zu schweben scheinen. Mal entdecken wir durchs Fernglas im Schatten eines Strauches einen wiederkäuenden Bock. Gruppen weiblicher Tiere äsen vor der Kulisse des mächtigen Brandbergs. Ab und zu sind sie in Gesellschaft eines Junggesellen. Ich hätte öfter schießen können. Doch nie ist der Richtige dabei. Muss man verrückt sein, um trotzdem jeden Augenblick dieser puristischen Jagd zu genießen?

Der Perfekte
Eines Morgens pirschen wir in einem hügeligen Gelände mit Rinnen und Senken. Man kann sich gut annähern, allerdings ist das Wild hier auch erheblich wachsamer, denn außer uns suchen auch Geparden und Schakale ihre Chance. Behutsam bewegen wir uns an den Hügelflanken, vermeiden die Kuppen und peilen die Lage. Plötzlich – ein elektrisierender Anblick. Drei weibliche Stücke ziehen in der Mulde nordwärts, gefolgt von einem starken Bock. Eine knappe Handbewegung von Kai-Uwe lässt mich umgehend in Deckung gehen. Da kommt der Richtige!

Wir rutschen auf dem Bauch rückwärts außer Sichtweite. Dann hetzen wir los, um ihnen den Weg abzuschneiden. Im Laufen lade ich durch. Schnell haben wir den Hügel umrundet. 50 Meter entfernt liegt ein kniehoher Stein, perfekt um anzulegen. Tief geduckt und lautlos nähern wir uns an. Doch nach nur ein paar Schritten erstarrt Kai-Uwe, setzt sich in Zeitlupe auf den Boden. In Deckung seines Rückens schiebe ich mich vorsichtig heran und lege die Winchester auf seine Schulter. Keine Sekunde zu früh: Am Hang sind die drei Springbockgeißen erschienen. In 160 Meter Entfernung stehen sie und haben uns bereits wahrgenommen.

Die älteste, eine magere Matrone mit langen dünnen Hörnern, ist bereits äußerst misstrauisch. Lange halten die nicht aus. Aber verdammt, wo ist der Bock? Jetzt erscheinen seine Hornspitzen hinter dem Geröll, ziemlich weit querab. So kann ich auf keinen Fall schießen, so rücke ich hinter Kai-Uwes Rücken und korrigiere den Schusswinkel. Der Bock bummelt, unerträglich langsam. Jetzt ist das Haupt mit den Hörnern sichtbar. Doch denen schenke ich keinen Blick. Jetzt steuert alles auf den einen Moment zu, wo der Bock frei steht. Aus dem Augenwinkel nehme ich fast unbewusst wahr, dass die clevere alte Geiß weiß, was los ist. Der Hals wird immer länger, der Kopf bewegt sich ein Stück zur Seite, ihre Augen sind gebannt auf uns gerichtet. Jede Sekunde wird sie abspringen. In dieser Dramatik bildet die Gelassenheit des Bocks, der jetzt ruhig hervorkommt, einen unglaublichen Kontrast. In diesem Moment verfliegt meine Erregung. Ich empfinde nur noch intensive Konzentration in vollendeter Ruhe. Die drei Geißen drehen sich in Fluchtrichtung. Der Bock steht frei. Ein Wimpernschlag, ein halber Atemzug, eine Fingerkuppe sanft auf dem Abzug. Mit dem Donner des Schusses federn die drei Geißen schwerelos durch den Himmel – spektakuläre Sätze, wie in Zeitlupe. Springböcke schreiben ihren Namen in die Luft …

Der Bock liegt. Ein prachtvoller Herrscher in seinem Wüstenreich. Sein starkes, fein ziseliertes Gehörn verrät Alter, Kraft und Kämpfe. Es ist harmonisch gegliedert, zeigt die perfekten Schwünge. Wie poliert schimmern die schwarzen Hornspitzen. Aus dem Rücken des Bocks entfaltet sich die schneeweiße Prunkmähne. Ich sauge den Duft in mich ein, das unvergleichliche Aroma von Blüten und Zimt, Kuchen und Kräutern. Dann endet das verwunschene Schauspiel, die Prunkhaare verschwinden für immer. Das Wüstenparfüm aber ist unvergesslich wie die Jagd auf meinen ersten Namib-Springbock.
Der Alte
Zwei Tage später kommt es zu einer weiteren packenden Begegnung. Wir haben auf einem kleinen Höhenrücken Posten bezogen. Zu unseren Füßen erstreckt sich ein schier unendliches Panorama. Kleine Trockentäler mit ihren spärlichen Sträuchern ziehen sich wie blassgrüne Fäden durch die Ebene. Knapp zwei Kilometer entfernt äsen drei Springböcke. Weiter abseits ein Einzelner. Das sei einer, den man sich ansehen sollte, stellt mein Freund fest. Über Stunden sitzen wir unter brennender Sonnen und verfolgen wir geduldig, wie sie sich langsam in unsere Richtung bewegen. So lange wir abgewartet haben, so flink sind wir auf einmal auf den Füßen.
Unten in der Ebene findet Kai-Uwe mit traumwandlerischer Sicherheit den Punkt, wo sich unser Weg mit dem der Springböcke schneidet. Und wieder geht am Ende alles ganz schnell. Auf einmal sind sie da! Der Bock kommt in flotter Bewegung über einen Grat auf uns zu. Mein Schuss kommt zu hastig. Leicht getroffen, verhofft der Bock einen winzigen Moment, da trifft schon die zweite Kugel. Ein uralter Bock ist es mit eisgrauem Gesicht. Das Gehörn ganz untypisch; wie bei einem jungen Bock weisen die Hornspitzen leicht nach vorn. Aber was für Hörner! Dick, mit abgekämpften Enden. Eine traumhafte Trophäe. Der Alte hat knallharte Kämpfe ausgetragen, hat sich unter härtesten Bedingungen behauptet und seine Sieger-Gene an viele Springbock-Kitze weitergegeben. Ich bin restlos glücklich. Voller Bewunderung für den alten Kämpfer, voll Dankbarkeit für diese Jagd und meinen Jagdführer. Das ist Jagen am Ursprung in einem traumhaften Land. Die nächste Reise nach Namibia? Sobald wie’s geht!

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Der Bock liegt. Ein prachtvoller Herrscher in seinem Wüstenreich. Sein starkes, fein ziserkiertes Gehörn verrät Alter, Kraft und Kämpfe.
Dieser Artikel wurde erstmals in der 2014 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.