Die Landschaft erscheint völlig leblos. Kaum einmal dass irgendwo eine Vogelstimme zu hören ist. In den Rinnen stehen hier und da laublose Moringabäume mit ihren unförmigen, wasserspeichernden Stämmen und ebenso laublose, bizarre Commiphora glaucescens-Bäume, deren goldbraune Stämme sich unaufällig in die nun vom Abendlicht vergoldete, fahlbraune Landschaft einfügen. So gelangen wir, immer wieder anhaltend und das Gelände abglasend, langsam parallel zum Verlauf des Chausib zurück und steigen bei einbrechender Dämmerung über die Felsrippen hinab zum Camp.
So gehen die Tage dahin, im Überblicken einer ehrfurchtgebietend einsam-stillen Landschaft, morgens bei Sonnenaufgang dem quorrendem Duett der Namatrappen, in grandioser Fernsicht und dem Anblick gemächlich, -zeitlos-, auf ihren Wechseln über die Anhöhen ziehenden Bergzebras und hier und da einem Grüppchen von Springböcken. Dann wieder nur lebloser, windgepeitschter Wüstenebenen und vereinzelter Gemsbockspuren auf den Wildwechseln. Dies ist das Rezept der Überlebenskunst der Wüstentiere; ständig auf der Suche nach spärlichen Wasser- und Nahrungsressourcen von irgendwo nach nirgendwo zu ziehen.
An einem Morgen, wir sitzen auf den Klippen einer Anhöhe, blicken auf die Karstrücken hinab und versuchen die tief eingeschnittenen Wadis einzusehen, sehen wieder Bergzebras über die windgepeitschten Höhenrücken ziehen und ein Grüppchen Springböcke, glasen vergeblich nach einem Oryx; da löst sich ein alter Kudubulle aus den Felsrippen am Vorland des Berges auf dem wir sitzen und zieht auf eine kleine, in das gebrochene Gelände eingesprengte Quarzgeröllebene zu einem Nonibaum, verhält dort und äst minutenlang um das Bäumchen herum. Er legt das wunderbare, geschwungene Gehörn – die linke Hornspitze ist etwas abgebrochen – weit in den Rücken zurück, als er in das Bäumchen hinaufäst. Die weißen Lippen in seinem kohlschwarzem Gesicht mit der weißen Chevron-Markierung auf dem Nasenrücken pflücken hingebungsvoll jedes erreichbare Blättchen ab, dann wendet er und schreitet majestätisch über die Kiesfläche zurück in die Felsrippen, grau und wuchtig; der Kudubulle, das Pendant der scharfäugigen, unsteten Oryxantilope unter den beiden großartigen einheimischen Wildtieren des ariden Namibia, in ihrer Einzigartigkeit gleichzusetzen mit den übrigen drei großen Antilopen Afrikas, die anderswo zu finden sind; der Rappenantilope der Miombo Waldladzone, dem Riesenelen der nordwestlichen Savannen oder dem Bongo der düsteren Regenwälder.
Als sich unsere Jagd langsam dem Ende zuneigt, ohne dass wir in der unter der Dürre ächzenden Lanschaft einen Oryx finden können, entschließe ich mich, aus dem Chausib in die östliche, wenn man so will die rechte Gehirnhälfte von Ilala aufzusteigen. Das ist deshalb etwas aufwendiger, weil man auf dieser Seite zunächst einen sich hier parallel zum Chausib nach Nordwesten ersteckenden, mächtigen Ausläufer einer Khomas- Hochlandfaltung übersteigen muss. Deshalb nehmen wir den Jagdgehilfen Erastus mit, der zusätzliches Wasser trägt. Einem Zebrawechsel durch das Flussbett folgend, der zunächst über die Stufe eines Karstrückens in einen isolierten Talkessel mit Quartzgeröll führt und dann steil zu dem Sattel der Khomas-Hochlandfaltung hinaufführt. In dem Talkessel liegt neben dem Zebrawechsel im spärlichen Schatten eines dürren Bäumchens das vergilbte Gehörn und die Knochen eines ganz offensichtlich uralten Oryxbullen, der sich in der herben, stillen Abgeschiedenheit dieses Platzes zum Sterben hingelegt und sein zähes Nomadenleben ausgehaucht hat. Wir betrachten die Überreste eine Weile schweigend, dann steigen wir, noch im kühlen Schatten des Gegenhanges, dem Grat entgegen, in dessen Sattel sich die Zinnen und Zacken der Gesteinsrippen gegen das heiße Weiß des Lichtes der dahinter aufgehenden Sonne abheben. Inmitten all der schroffen Härte aus Fels und Stein aber auch die bizarre Silhouette eines Balsambaumes mit den sich immer mehr verfeinerndem, vielverzweigten, zarten Fligran der äußersten Ästchen.
Den Sattel schnaufend und verschwitzt erreichend, befinden wir uns nun im grellen Licht der Sonne eines gewiss heiß werdenden Tages. Wir setzen uns zwischen die Felsbrocken und beginnen, dass unter uns liegende Gelände abzuglasen. Bald entdecken wir ein paar Gemsböcke. Wir steigen hinab und beginnen uns nun an die langsam nach Norden ziehenden Tiere heranzuarbeiten. Schließlich stellt sich das Wild am Mittag am Ausläufer eines geröllübersähten Hanges auf einem flachen kleinen Plateau mit einem großen, schattenspendendem Nonibaum in der Mitte ein. Von verschiedenen Seiten kommen Gemsböcke nach hier gezogen und bald haben sich dort 15 der großen Antilopen versammelt, während wir mühsam im Krebsgang über das Geröll näherkommen. Am Rande ein alter Bulle der sich stets in der Nähe einer offensichtlich brunftigen Kuh aufhält. Als wir auf etwa 200m heran sind, wird das Risiko einach zu groß, dass eines der vielen Tiere uns bemerkt und wir entschließen uns, den Schuss zu wagen. Doch in dem Versuch, die für das schwere Geschoss etwas weite Entfernung mit Vollkorn auszujustieren, überschießt Thomas den alten Bullen. Uns bleibt nichts Anderes, als den in wilder Panik in einer Staubwolke davonstiebenden Antilopen nachzublicken.
Der nächste Morgen findet uns wieder auf dem Sattel. Wieder erblicken wir nach kurzem Abglasen Oryx in der Ebene unter uns und stellen erfreut fest, dass es sich abermals um den alten Bullen mit der brunftigen Kuh handelt. Der Bulle treibt die Kuh über einen Höhenrücken in einen tiefen Einschnitt. Hier arbeiten wir uns nun vorsichtig heran und stellen schließlich fest, dass sich die beiden Tiere in einem idyllischen kleinen Tal niedergetan haben. Wir schieben uns bis an die Kante vor und sind nun auf gute Schussentfernung heran. Der Bulle braucht sich nur zu erheben, dann sollte uns der Erfolg sicher sein. Doch auf einmal erblickt uns die aufmerksam in alle Richtungen sichernde Kuh. Sie erhebt sich, blickt kurz zu uns hoch und flüchtet. Der Bulle springt auf und galoppiert ihr nach, ohne auch nur eine Sekunde zu verharren. Zwar verhoffen die Tiere noch einmal, doch nun ist es wieder über 200m weit und der hastige Schuss geht am Ziel vorbei. Wir Alle kennen die abgrundtiefe Enttäuschung solcher Momente. Thomas stößt ein paar Flüche aus und verkündet: “Schluss jetzt!”
Doch so schnell schmeißt man die Flinte nicht ins Korn und als der erste Zorn sich gelegt hat, gehen wir in einem großen Bogen in die Richtung des Kuiseb. Schließlich setzen wir uns auf einen Höhenrücken und glasen das Gelände ab. Gerade sehen wir noch drei Oryx, die offenbar unseren Wind bekommen haben, weit im Süden über eine Wölbung flüchten. Es ist nun heißer Mittag und da macht es wenig Sinn, den Tieren nachzugehen. Zunächst einmal versuchen wir etwas Schatten zu finden und das ist nicht einfach. Schließlich legen wir uns langgestreckt hart gegen einen kleinen Gesteinskamm, der dürftigsten Schutz vor der im Zenit stehenden Wüstensonne bietet, trinken ausgiebig und kauen etwas Biltong.
Als es am Nachmittag kühler wird, erheben wir uns von diesem harten Lager, klopfen den Staub aus der Kleidung und gehen schließlich in die Richtung, in der wir die drei Oryx haben verschwinden sehen. Vorsichtig auf der Wölbung entlangpirschend, entdecken wir plötzlich die in einer Niederung liegenden Oryx, sinken zu Boden und ziehen uns hinter die Wölbung zurück. Dann umschlagen wir den Platz und nähern uns aus der Deckung einer felsigen Erhebung, hinter der das Wild wiederkäuend ruht. So kommen wir auf gute Schussentfernung heran. Inzwischen haben sich die Tiere erhoben und beginnen zu äsen, darunter ein Bulle.
Zwar ist es nicht der Alte, der uns zweimal entkommen ist, aber wir können nicht mehr wählerisch sein. Als Thomas in den Anschlag geht, sehe ich seinen blassen, gespannten Gesichtszügen an, dass nun eine große Last auf ihm ruht.
Doch der Oryxbulle quittiert die schwere Kugel, indem er vorne zusammenbricht, sich zwar noch einmal aufrafft, aber nach kurzer Fluchtstecke endgültig zusammenbricht. Ich nicke Thomas zu – vieler Worte braucht es zwischen uns nicht -, dann kommt auch Erastus nach, der zunächst zurückgeblieben war, und in großer Erleichterung gehen wir hinunter. Es ist inzwischen zu spät, das Wild heute noch zu bergen. Thomas und Erastus werden am Stück übernachten müssen, um das Fleisch vor Hyänen zu schützen, die am Kuiseb zahlreich sind und mit dem Zerwirken beginnen. Wasser ist noch ausreichend da und sie können die Leber des Bullen auf der Glut zubereiten. Ich gebe kurze Anweisungen, dann schaue ich mich kurz in der Umgebung nach einer Stelle um, die ich morgen mit dem Wagen erreichen kann, um das Fleisch zu holen. Als ich zurückkomme, hockt Thomas hinter dem Oryxbullen und hält die Läufe, während Erastus am Aufbrechen ist. Ich habe das Gefühl, dass Thomas sich noch immer in einem Tumult der Gefühle befindet; aus riesengroßer, demütiger Erleichterung und dem gleichzeitigen Bewusstsein einer schlussendlich großen Jagd, gebe ihm einen kleinen Klaps auf den Schlapphut unter dem er zu kauern scheint und einen größeren Klaps auf den Rücken, dann mache ich mich auf den Rückweg ins Camp.