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Weidwerk im Geiste ritterlicher Jagdkultur – Auf Bergzebra in der Namib

In unserer Zeit jagdfeindlicher Entgleisungen, hysterischer Shitstorms und medialer Lynchjustiz gibt es inzwischen nicht wenige mahnende Stimmen, die in der sportlichen, fairen, weidgerechten Jagd in natürlichen Einständen, von Nachhaltigkeit und Partizipation geprägt und verbunden mit einer möglichst umfassenden Nutzung des erlegten Wildes, den einzig zukunftsträchtigen Weg des touristischen Weidwerks sehen. Weg von Techniklastigkeit und Kommerz hin zum ursprünglichen Naturerlebnis. Die Briten haben das good sport & fair chase genannt. „Good Sport & Fair Chase – Weidwerk im Geiste ritterlicher Jagdkultur“, so lautet denn auch der Titel eines Buches, in dem ich von eben solchem Jagen erzähle, in Afrika, den Hochgebirgen Zentralasiens und im Vereinigten Königreich. Auch die Jagd auf das Bergzebra gilt als besonders erlebnisreich, und dies umso mehr in den beeindruckenden Landschaften der namibischen Randstufe. Dr Christian Carl Willinger

D er späte Sommer zog über das Land. Schwarzblaue Gewitterwolken türmten sich hoch in den Himmelund brachten kurze, heftige Regengüsse. Es war die Jahrhundertregenzeit von 2011. Damals besuchte ich Ingo Gladis auf seiner Farm Wilsonfontein in den Witwatersbergen zum ersten Mal und verliebte mich sofort in dieses wunderbare Stück Land, ist es doch eine der schönsten und ursprünglichsten Farmen, die ich in Südwest kennengelernt habe. An der Randstufe liegen jedoch mehrere für den auf ursprüngliches Erleben ausgerichteten Jäger und Naturfreund interessante Ländereien. Rooi Kuiseb, die nördliche Nachbarfarm von Wilsonfontein, die ich Jahre zuvor bejagt hatte, wird inzwischen leider nicht mehr touristisch genutzt, doch unweit davon erstreckt sich der ausgedehnte Farmenkomplex Sphinxblick von Günther Kleemann, der zwischen dem Swakop und den Chuosbergen liegt und dessen zusätzliche Besonderheit darin besteht, auch für Reiter interessant zu sein. All diesen und weiteren Farmen an der Randstufe ist gemein, dass sie in einer äußerst spektakulären Landschaft liegen, wo sich Berge und Ebenen im Grenzgebiet zur Wüste Namib ineinanderschieben. Sie sind landwirtschaftlich kaum nutzbar und deshalb in erster Linie dem Ökotourismus vorbehalten – und dazu zählt natürlich auch eine sensible jagdliche Nutzung, denn verantwortungsvoller Jagdtourismus ist Ökotourismus par excellence, wie dies Christoph Schüle in seiner Dissertation schon vor fünfzehn Jahren aufgezeigt hat.

Wilsonfontein be ndet sich seit 1938 im Eigentum der Familie Gladis. Die Farm ist nach jener Quelle benannt, die in den fünfziger Jahren des Neunzehnten Jahrhunderts von einem britischen Händler namens J. H. Wilson südlich des Swakop entdeckt wurde. In unmittelbarer Nähe der Quelle steht heute eine Windpumpe. Wilson tauschte im Betschuanaland Brown- Bess-Musketen gegen Elfenbein. Sein üblicher Handelsweg führte ihn mit dem Ochsenwagen von Kapstadt über Kuruman bis in die Gegend des Ngamisees, den er 1849 zusammen mit Livingstone und Oswell entdeckte. Von dort wandte er sich westwärts nach Wal schbucht, wo er den Ochsenwagen veräußerte und sich nach Kapstadt einschi te, um dort das Elfenbein zu verkaufen, sich mit neuer Ware einzudecken und zur nächsten Runde aufzubrechen. Auf einer dieser Reisen stieß er auf die Quelle Wilsonfontein, wo er dann getauschte Rinder hielt, bevor sie zum Markt nach Kapstadt getrieben wurden.

Die Farm hat knappe 29.000 Hektar und umfasst einen Großteil der Witwatersberge samt vorgelagertem Tie and. Berthold Gladis (1912-2000) und sein älterer Sohn Udo (1949-1999) farmten hier über Jahrzehnte Rinder und Schafe, eine Nutzungsform, die gerade in der Randzone der Namib wegen häu ger Dürre wenig ertragreich und oft mit existenzbedrohenden Rückschlägen verbunden war. Als der jüngere Sohn Ingo die Farm erbte, traf er deshalb die vom ökologischen wie ökonomischen Standpunkt sinnvolle Entscheidung, die Farm auf Jagdbetrieb umzustellen. Heute sind alle inneren Zäune entfernt, und das Wild hat auch freien Bewegungsspielraum hinaus in die Wüste, den es entlang der mehr als 20km langen Grenze zum Namib-Naukluft-Park insbesondere während der Regenzeit intensiv nutzt. Dann wandern die Springböcke beinahe bis Swakopmund, während sie sich in der Trockenzeit wieder zu den Quellen und Wasserlöchern der Berge zurückziehen. Da Wilsonfontein sämtliche Kriterien des Erongo-Verzeichnisses für Afrikanisches Jagdwild erfüllt, wurde die Farm inzwischen auch mit dessen Urkunde ausgezeichnet.

Ich verbrachte damals eine knappe Woche bei Ingo, wo ich mich hauptsächlich den Pfanzen und Vögeln widmete – das Wild hatte sich ja wie gesagt großteils in die Namib verabschiedet oder war in der üppigen Vegetation versteckt, und Jagen stand diesmal ohnehin nicht auf dem Programm. Aufgrund der ausgiebigen Regenfälle kamen zahlreiche Riviere ab, und in den Bergen stürzten herrliche Wasserfälle über die Klippen. So hatte ich Südwest noch nie erlebt, nicht nur deshalb, weil nun in der Regenzeit alles so atypisch grünte und wucherte, sondern weil Wilsonfontein mit seiner außerordentlich reichen Strukturiertheit und beeindruckenden Größe ein Paradies gerade für den Pirschjäger darstellt. Überall sind in der Ebene kleine Granitkuppen, Hügel, Felstürme verstreut, die Deckung bieten oder von denen aus man die Gegend abglasen kann.

Riviere brechen durch enge Schluchten mit abenteuerlichen Fels- und bizarren Gesteinsformationen, die wohl jedem Geologen das Herz aufgehen lassen. Und hohe Berge bieten Herausforderungen zum Klettern und Wandern und belohnen mit phantastischen Ausblicken. Eines Morgens stieg ich ein Plateau hoch und hätte prompt zweimal einen Klippspringer mit der offenen Visierung erlegen können; nach dem sportlich-akrobatischen Aufstieg wäre das eine wohlverdiente Trophäe gewesen.

Aber auch bloß mit zwei Büchern ein Rivier entlangzugehen und die Büsche, Bäume und Vögel zu bestimmen, hatte seinen Reiz. Botanisch und zoologisch Interessierte kommen jedenfalls auf ihre Rechnung. Aber gerade der Jäger, der sich nach dem Ursprünglichen sehnt, fernab bestockter und wilddicht gezäunter Farmen, fernab luxuriöser Unterkünfte, der das Alte Südwest sucht mit seiner Einfachheit und Natürlichkeit, der ausschließlich autochthones Wild in seiner natürlichen Umgebung erwartet, der Pirschjäger, der diese wie zum Pirschen gescha ene Landschaft zu schätzen weiß, wird hier ein Paradies vor nden, wie man es heute lange suchen muss. Wilsonfontein und so manch andere Farm entlang der Randstufe bieten wohl für solche Jäger eine preisgünstige Alternative zu einer Zeltsafari in einem der kommunalen Hegegebiete.

Zweieinhalb Jahre später besuchte ich Ingo erneut. Ich beabsichtigte nun ein paar Tage zu jagen. Neben einer abnormen Oryxantilope wollte ich wieder einmal einen alten Bergzebrahengst strecken. Mein erstes Streifenpferd, ein Flächenzebra (Equus quagga chapmani), hatte ich in den frühen 90er Jahren in Zimbabwe erlegt, das erste Bergzebra (E. zebra hartmannae) ein dutzend Jahre später auf Rooi Kuiseb. Manche Jäger können der Bejagung dieses Wildes nichts abgewinnen, sei es doch, als schösse man ein Pferd, doch obwohl ich begeisterter Reiter bin, hatte ich nie Vorbehalte solcher Art. Denn gerade das vorsichtige Bergzebra in seinem oft schwer begehbaren Habitat bietet immer wieder besondere jagdliche Herausforderungen. Die herrliche, fein gestreifte und kontrastreiche Decke, die frei ist von den braunen Schattenstreifen des Flächenzebras, wertet jedes afrikanische Dekor als schmucker Vorleger oder Wandbehang auf, und das Wildbret – besonders das Filet
– mundet köstlich, wenn einen die leichte, kaum merkliche Süße nicht stört.

Die Landschaft auf Wilsonfontein war im Vergleich zur großen Regenzeit nicht wiederzuerkennen. Es hatte in den beiden vergangenen Sommern kaum Niederschlag gegeben, und das Land präsentierte sich nun in seinem typischen Wüstenrandcharakter. Vom einstigen Grün war nichts mehr verblieben. Wo hüfthohe, saftige und blütenübersäte Grasdschungel gewuchert hatten, dehnten sich nun weite Geröllebenen mit jenem dürftigen, bleichgelben Grasbestand aus, wie man ihn in der Grenznamib eigentlich auch erwartet. Dennoch lockerten immergrüne Büsche wie Boscia und Tiefwurzler wie der Kameldorn die Einförmigkeit der fahlen Farben auf, während das reichstrukturierte Gelände ohnehin keine Eintönigkeit aufkommen ließ.

„Gerade das vorsichtige Bergzebra in seinem oft schwer begehbaren Habitat bietet immer wieder besondere jagdliche Herausforderungen.“

1SW13-143

Will man die Geographie Wilsonfonteins beschreiben, so orientiert man sich am besten an den Bergen: Im nordöstlichen Eck der Farm steht als markante Begrenzung der Stuhlberg. Nach Westen hin folgen als weitere Inselberge der Stephansberg, der längliche Elefantenberg, die Hottentottenkirche und als äußerste Nordwestmarke der XY-Berg. Noch weiter im Westen, schon im Park, ragt der Onanisberg auf. Der Stahlhelm stellt eine gut erkennbare Landmarke im Inneren der Farm, und nach Süden bildet die Bergkette der Witwatersberge („Weißwasserberge“) mit dem Zuckerhut, Zackenberg, Giselaberg, Bischofshut und Backenzahn eine langgezogene Kulisse von West nach Ost. Blickt man von den Witwatersbergen nach Norden, so kann man in der Ferne den Horibisberg und Potberg, dahinter die Chuos- und Otjipateraberge und bei klarer Sicht selbst den Erongo erkennen. Zwischen den Witwatersbergen im Süden und dem Stuhlberg im Nordosten erstreckt sich aches, ebenes Land, während dieses nach Nordwesten hin, insbesondere Richtung Elefantenberg und Stephansberg durch unzählige Granitkuppen reich gegliedert ist. Im Süden der Witwatersberge liegen ausgedehnte Hochplateaus, eine kleinere Hochebene existiert auch innerhalb der Bergkette.

Eines Morgens fuhren wir, nachdem wir noch bei Dunkelheit das Frühstück zu uns genommen hatten, zu jener Wasserstelle westlich des Stahlhelms, die nie wirklich austrocknet. Von dort brachen wir zu einem mehrstündigen Pirschgang auf. Zunächst stiegen wir den Südausläufer des Stahlhelms empor, eine mächtige Granitkuppe, von der wir weit über das Land spähen konnten. Auf der Ostseite lag ein größeres Sandplateau, auf dem erst vor kurzem, über zwei Jahre nach der großen Regenzeit, das im Sand versickerte Wasser zu Tage trat und einen kleinen Tümpel bildete. Es war das erste Mal seit sechzig Jahren, dass sich hier Wasser zeigte. Wir querten das Sandfeld, an dessen Nordgrenze ein großer Flügelfruchtstrauch, Phaeoptilum spinosum, voll zyklamfarbener Früchte stand, die au ällig über die spärlich bewachsene Fläche leuchteten. Mehrere Zebras, Gira en, Spießböcke, Kudus und Steinböckchen bekamen wir im Laufe dieser abwechslungsreichen Pirsch durch die heiße Halbwüste in Anblick, doch es war nichts Schussbares darunter. Über etliche Felsabbrüche kletterten wir schließlich zur großen Ebene hinab, aus der wir aufgestiegen waren. Auf der Heimfahrt kamen wir noch an einem Prachtexemplar der Kerzenakazie, Acacia hebeclada, vorbei, von der ich ein Ästchen für meine Akaziensammlung mitnahm.

Mittags auf dem Farmhof umschwärmten uns während des Essens unzählige Vogelarten, darunter Maskenbülbüls, Namaqua- Täubchen, Bergschmätzer, Rotkop nken, Elfenastrilden und Kalahari-Zistensänger. Eine längere Mittagsruhe ist zu dieser sommerlichen Jahreszeit unumgänglich, und so brachen wir erst um vier Uhr zur Abendpirsch auf. An all diesen Tagen hatte ich die langen Mittagspausen genossen und unbekleidet auf dem Bett gelegen, bei knappen 30°, während das ermometer draußen im Schatten gar auf 35° stieg, eine Ganzkörperwärmetherapie, die meinem schmerzgeplagten und geschundenen Gerippe außerordentlich zugutekam.

Nachmittags also fuhren wir bei strahlend blauem Himmel am Stahlhelm vorbei bis zum Beginn der südwestlichen Ebenen, wo eine Windpumpe mit Wasserbassin steht und wo wir auf Springböcke, Gira en und Gemsböcke stießen. Von dort unternahmen wir einen Pirschgang durch die verschachtelten Geröllhügel am Fuße der Witwatersberge, dabei im groben Gelände den Wildwechseln folgend, bis wir auf eine halbe Meile einen kleinen Trupp Bergzebras entdeckten: mehrere Stuten, ein paar Jährlinge und etwas abseits der Hengst. Der Wind war gut. Im Schutze der zahlreichen Fels- und Geröllformationen arbeiteten wir uns auf zweihundert Meter heran und schlichen gedeckt durch Granitblöcke zu einem Ausguck. Im Tal unter uns standen die Stuten und Jungtiere, während sich der Hengst, auf den wir es abgesehen hatten, wohl hundert Schritt abseits am Fuße des Gegenhangs befand. Diese Abseitsposition, meist am hinteren Ende der Herde, ist typisch für den Leithengst, den man gut anhand seines massigen Körpers, seines kräftigen Trägers und besonders seiner ausgeprägten Kehlwamme ansprechen kann. Üblicherweise gibt es in jeder gemischten Herde nur einen reifen Hengst. Im Vergleich zum Flächenzebra sind die Herden klein und umfassen weniger als zehn Stück. Es kommen auch kleine Gruppen von reinen Junggesellenverbänden vor, denn die Junghengste werden im 2. Lebensjahr aus der Mutterherde gedrängt.

Unser Leithengst stand also im Gegenhang, doch konnte ich ihn durch die Lücke in den Felsen nicht gut anvisieren. Also kroch ich auf allen vieren entlang der Geröllformation, die wie eine irische Steinmauer den Grat unseres Hügels begrenzte, zu einem geeigneteren Durchlass. Möglichst leise mühte ich mich über spitze Kiesel, scharfrandiges Gestein und mit dem Gewehr in der Hand vorwärts, die Zähne zusammengebissen, während mir die Novemberhitze den Schweiß aus allen Poren trieb. Endlich in einer besseren Position angelangt nahm ich den Hengst ins Visier meines alten Perser-Mausers. Dieses Gewehr, ein militärisches G98 im Kaliber 8×57 IS und mit o ener Visierung, war mir sehr ans Herz gewachsen. Mit seinem 74cm-Lauf ließ es sich höchst angenehm und zielsicher schießen. Ich konnte mich optimal zwischen den Felsen verkeilen, auch die Distanz war ideal. Langsam fuhr die Kimme an der Vorhand hoch und blieb in der unteren Blatthälfte haften, während der lange Weg des neunpfündigen Abzugs es mir nochmals erlaubte, den Sitz des Korns in der Kimme zu prüfen. Im Schuss kam der starke Hengst zu Sturz, erhob sich nochmals, bäumte sich auf und brach fast hintenüber endgültig zusammen. Es war ein sauberer Blattschuss auf 160 Gänge gewesen. Die übrige Herde jedoch war längst zwischen den Hügeln verschwunden.

Während der herangeorderte Wagen sich langsam den Weg durch das unwegsame Gelände bahnte, saß ich beim Stück, strich ihm sanft über die weichen Nüstern und Lauscher und gedachte im Angesicht des Todes unser aller Vergänglichkeit. Es ist ein ehernes Gesetz der Natur: mors ianua vitae – der Tod ist die Pforte zum Leben, und dennoch schwingt in solchen Augenblicken immer ein klein wenig Wehmut mit, und ein gehöriges Maß an Demut. Es ist diese Vielschichtigkeit der Gefühle, die von der großen Komplexität der conditio humana zeugt. Unsere Gegner aber können und wollen das nicht begreifen. Ihr Ziel, das Ziel aller modernen Sophisten,
ist denn auch die Dekonstruktion und Leugnung jeglicher spezi sch menschlicher Eigenschaften, um Tier und Mensch absolut gleichzustellen. Traurig, wenn man die Früchte der Aufklärung so überreif werden lässt, dass sie verfaulen. Denn ohne das rechte Maß wird die Welt grotesk und absurd. Hier aber, in der Einsamkeit der Wüste mit ihren elementaren Gesetzen, kann man sie noch erspüren, die große, die wahre Ordnung der Dinge.

Dieser Artikel wurde erstmals in der 2017 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.