Kudujagd in zerklüftetem, unübersichtlichem Bergland heißt vor allem stundenlanges, geduldiges Abglasen. So fand uns der erste Nachmittag auf einem erhöhten Aussichtspunkt im südlichen Kraterrand. In dem schroffen Hang, in diesem Wirrwarr von großen Felsblöcken und dornigem Buschwerk, entdeckten wir nach und nach mehrere reglos dastehende Bergzebras, die mit hängendem Kopf gelassen der Hitze ausharrten und schließlich, als die Sonne den Horizont fast erreicht hatte und es kühler wurde, gelassen schnaubend und prustend in Bewegung kamen.
Wir, dieweil in der einsetzenden Dämmerung auf dem Abstieg ins Tal, glasten während einer Verschnaufpause noch einmal den Fuß des Kraterrandes ab und entdeckten in einiger Entfernung einen Kudubullen. Aus einer Senke hinaufkommend, zog er auf eine kleine Felskuppe zu einem Hakendornbaum, legte das Gehörn weit in den Nacken zurück, um eine Weile gelassen in den Baum hinaufzuäsen und hingebungsvoll alle erreichbaren Blüten abzupflücken. Dann schritt er wieder in die Senke hinunter und war verschwunden. Er schien noch etwas jung, doch wir nahmen es als ein gutes Ohmen.
In dieser Weise erkletterten wir täglich irgendeinen hochgelegenen Ausguck, um das wilde Gelände nach Kudubullen abzuglasen. Stets entdeckten wir irgendwo ein paar Bergzebras und immer wieder Klippspringer, die, oftmals wie Statuen auf irgendeinem Felsblock stehend, in die Umgebung sicherten. Auch einmal eine Gruppe weiblicher Kudus. Doch trotz aller Mühe konnten wir keinen alten Bullen entdecken.
Als wir an einem Morgen lange vergeblich ein besonders unübersichtliches Gelände abgesucht hatten, deutete ich in das wilde Durcheinander großer Felsblöcke und bizarrer Balsam-Bäume einer Senke, durch die sich das Bett eines mit knorrigen Ahnenbäumen gesäumten Trockenflusses wand und sagte:
„Dies ist das Zuhause des grauen Geistes!“ „Leider ist er gerade nicht zu Hause,“ meinte Patrick, worauf ich entgegnete: „Du hast den Kudu noch nicht vollständig verstanden. Wenn Du in ein solches Tal blickst und keinen Kudu siehst, heißt das nicht, dass keiner da ist.“
An einem anderen Morgen waren wir an den Rand eines Plateaus geklettert. Uns gegenüber gipfelte der steil ansteigende südliche Kraterrand in majestätischen Felswänden. Im ersten Licht der aufgehenden Sonne erglühten die Basaltwände in warmen Rotbraun. Der mit verfilztem Dornbusch überwucherte Talboden lag noch im Schatten.
In nie erlahmender Ehrfurcht und zutiefst beglückt, wanderten meine Augen zunächst über die wilde Unberührtheit des Geländes. In seiner herben Großartigkeit haben viele Bereiche Namibias nicht seinesgleichen, sind, wenn überhaupt, nur Vergleichbar mit dem berühmten Northern Frontier District Kenias oder einzelner anderer Gegenden am Horn von Afrika oder der Sahelzone.
Dann nahm ich mein Fernglas vor die Augen und begann die Hänge abzuglasen. Plötzlich durchzuckte mich ein freudiger Adrenalinstoß. Für einen Moment glänzte das Gehörn eines Kudubullen in dem nun auch in das Tal fallendem Sonnenlicht. Bei geduldigem, sorgfältigem Hinsehen nahmen nicht ein, sondern vier Kudubullen langsam Gestalt an. Eine geraume Weile beobachteten und begutachteten wir diese nun, wie sie gemächlich hin und her ästen, immer wieder lange verschwunden waren, um dann erneut aufzutauchen. Einer der Bullen war wohl ausgereift und vielleicht schussbar, die anderen auf jeden Fall zu jung – alles nicht das, wonach wir suchten.
Der Morgen des sechsten Jagdtages der diesjährigen Safari, für Patrick insgesamt der sechzehnte Tag auf der Suche nach einem Kudubullen, fand uns zwischen großen Felsblöcken kauernd auf einem Grat, von wo aus wir einen Bergkessel überblicken konnten, in den von allen Seiten steile Hänge in ein kleines Tal hinabstürzten. Ein wildes Gelände mit tiefen Rinnen und felsigen Kuppen, in dem sich ein Kudu zwischen großen, grauen Felsblöcken, Moringa- und Sterkuliabäumen, zwischen bizarren Balsam- und Hakendornbäumen unkenntlich machen konnte.
Vor ein paar Jahren war es hier während eines heftigen Sturzregens an einem steilen Hang zu einem Erdrutsch gekommen, der große Felsblöcke beidseits einer Erosionsrinne aufgetürmt hatte, während das Wasser in den nachfolgenden Regenzeiten die Rinne tief ausgewaschen hatte. Durch den Erdrutsch war in einen Hang eine kleine Blöße entstanden, in der sich langsam wieder die ersten Pionierpflanzen ansiedelten. Als ich nun dieses Gelände abzuglasen begann und meine Augen gerade über die Blöße des Erdrutsches wanderten, war es mir – während mich gleichzeitig ein wilder Adrenalinschub durchzuckte –, als öffne sich plötzlich der Vorhang zu einer Bühne, die nun endlich der Hauptdarsteller dieses Dramas betrat.
In großer Gelassenheit, eins mit sich und seiner herben, wilden Umgebung, grau und wuchtig, den schweren Träger und den Kopf tief haltend, der lange Kehlbart von der Morgensonne umschmeichelt, die Spiralen des herrlichen Gehörns weit über den Rücken hinausragend, zog ein großer, alter Kudubulle mit würdevollen, leicht schwankenden Schritten über die Blöße.
Nichts, kein anderes Wildtier, kann der vollständigen Harmonie dieses Momentes gleichkommen, wenn ein voll ausgereifter Kudubulle sich aus der Unsichtbarkeit löst und in seiner ganzen Pracht in unbeschreiblicher, selbstbewusster Bescheidenheit die Bühne seiner ureigenen natürlichen Umgebung betritt.
Erst die nachträgliche Betrachtung führt den wundervollen Moment in seiner ganzen Großartigkeit so richtig vor Augen.
Denn es galt nun zu handeln, die vielleicht einzige Chance zu nutzen. Bevor wir uns hinter den Grat zurückzogen, um verriegelt in das Tal abzusteigen, entdeckte ich in der Nähe des Alten, noch einen zweiten, jüngeren Bullen. Bevor wir uns, zunächst die Deckung eines Trockenflusses nutzend und dann über den geröllübersähten Boden eines dornigen Dickichtes mühsam und mit heftig klopfendem Herzen möglichst lautlos zu einer kleinen Felskuppe hinarbeiteten, von wo wir auf Schussentfernung an der durch den Erdrutsch verursachten Blöße sein würden, bemerkte ich deshalb noch, „wir müssen vorsichtig sein, dass Du nicht den falschen Bullen beschießt!“.