Wenn der Kudu

sich aus der Unsichtbarkeit löst…

von Kai-Uwe Denker

Als Elzanne kurz vor Redaktionsschluss für die neue HuntiNamibia Ausgabe mit der Bitte um einen Beitrag an mich herantrat, war ich zögerlich. Zum einen hatte die bisherige Jagdsaison nichts wirklich Nennenswertes gebracht, zum anderen glaube ich nach nunmehr einem Vierteljahrhundert des Mitwirkens an dieser Publikation, dass, um nicht langweilig zu werden, es langsam genug ist. Ich entgegnete deshalb: „Ich habe derzeit nichts in petto. Allerdings habe ich Ende September noch eine Jagd, sollte diese Safari etwas berichtenswertes bringen, melde ich mich.“

Wenn ich hier nun also doch wieder zur Feder greife, um ein aktuelles Jagderlebnis für die HuntiNamibia beizutragen, so tue ich dies, um noch einmal der herben Wildnis meines Landes und einem unvergleichlich großartigen Wildtier zu huldigen.

Denn jene letzte Safari im September der Saison 2025, brachte durchaus etwas berichtenswertes. Es war der zweite Anlauf meines deutschen Jagdgastes Patrick Stoll, einen alten Kudubullen zu erbeuten. Patrick hatte 2023 schon eine Safari auf Kudu durchgeführt, ohne dass wir einen geeigneten Bullen fanden.

Es mag vielleicht nicht gut für das Geschäft sein, wenn ich hier unumwunden sage, dass beileibe nicht jede meiner 10-tägigen Kudujagden zum Erfolg führt.

Doch ich tue es trotzig und stolz. Trotzig, weil es genügend Jäger gibt, die gerade darin die besondere Herausforderung sehen und stolz, weil mein Herz fast ebenso sehr auf Seiten des Kudus ist, wie auf Seiten dessen, der ihm nachstellt.

Doch eben auch deshalb komme ich mir ein wenig wie aus der Zeit gefallen vor, wenn ich hier berichte, dass zum Beispiel Henrik Lott für die Erlegung seines alten Bullen in dem Krieghoff Film „The Grey Gost of the Mountain“ zwei Anläufe brauchte und der Bulle erst am insgesamt 21. Jagdtag zur Strecke kam. Allerdings hatten wir noch am 19. Tag einen wunderbaren Bullen, der möglicherweise anderswo sofort erlegt worden wäre, pardoniert, weil er uns nicht alt genug war.

Weiß ich doch, dass in vielen Bereichen Namibias der Kudu recht mühelos zur Strecke kommt. Doch der Überbestand, bedingt durch die Erschließung von künstlichen Wasserstellen und das Verschwinden von Großraubwild, ist auch die Ursache der immer wieder ausbrechenden Kuduseuche in Namibia.

Wenn man ein solch heimliches Wild, das in seinem ganzen Wesen auf Tarnung ausgelegt ist, häufig in Anblick bekommt, so besteht mit Sicherheit ein Überbestand. Wenn man dagegen kaum Kudus zu Gesicht bekommt, aber regelmäßig seine Fährten findet, so hat man einen gesunden Bestand. Dann wird der Kudu zu dem mystischen Wild, das in der Literatur als „the Grey Ghost“ besungen wird.

Als Patrick, diesmal begleitet von seiner Freundin Mona, und ich also im September 2025 zum zweiten Anlauf auf einen alten Kudubullen ansetzten, präsentierte sich das Erongo Gebirge in dunstiger Frühjahrsatmosphäre, die Wurmrinden- und Hakendornbäume waren bereits von den gelblichweißen, duftenden Wattebällchen ihrer Blüten übersäht, die wiederum von einer Vielzahl von summenden Insekten umschwirrt wurden.

Kudujagd in zerklüftetem, unübersichtlichem Bergland heißt vor allem stundenlanges, geduldiges Abglasen. So fand uns der erste Nachmittag auf einem erhöhten Aussichtspunkt im südlichen Kraterrand. In dem schroffen Hang, in diesem Wirrwarr von großen Felsblöcken und dornigem Buschwerk, entdeckten wir nach und nach mehrere reglos dastehende Bergzebras, die mit hängendem Kopf gelassen der Hitze ausharrten und schließlich, als die Sonne den Horizont fast erreicht hatte und es kühler wurde, gelassen schnaubend und prustend in Bewegung kamen.

Wir, dieweil in der einsetzenden Dämmerung auf dem Abstieg ins Tal, glasten während einer Verschnaufpause noch einmal den Fuß des Kraterrandes ab und entdeckten in einiger Entfernung einen Kudubullen. Aus einer Senke hinaufkommend, zog er auf eine kleine Felskuppe zu einem Hakendornbaum, legte das Gehörn weit in den Nacken zurück, um eine Weile gelassen in den Baum hinaufzuäsen und hingebungsvoll alle erreichbaren Blüten abzupflücken. Dann schritt er wieder in die Senke hinunter und war verschwunden. Er schien noch etwas jung, doch wir nahmen es als ein gutes Ohmen.

In dieser Weise erkletterten wir täglich irgendeinen hochgelegenen Ausguck, um das wilde Gelände nach Kudubullen abzuglasen. Stets entdeckten wir irgendwo ein paar Bergzebras und immer wieder Klippspringer, die, oftmals wie Statuen auf irgendeinem Felsblock stehend, in die Umgebung sicherten. Auch einmal eine Gruppe weiblicher Kudus. Doch trotz aller Mühe konnten wir keinen alten Bullen entdecken.

Als wir an einem Morgen lange vergeblich ein besonders unübersichtliches Gelände abgesucht hatten, deutete ich in das wilde Durcheinander großer Felsblöcke und bizarrer Balsam-Bäume einer Senke, durch die sich das Bett eines mit knorrigen Ahnenbäumen gesäumten Trockenflusses wand und sagte:

„Dies ist das Zuhause des grauen Geistes!“ „Leider ist er gerade nicht zu Hause,“ meinte Patrick, worauf ich entgegnete: „Du hast den Kudu noch nicht vollständig verstanden. Wenn Du in ein solches Tal blickst und keinen Kudu siehst, heißt das nicht, dass keiner da ist.“

An einem anderen Morgen waren wir an den Rand eines Plateaus geklettert. Uns gegenüber gipfelte der steil ansteigende südliche Kraterrand in majestätischen Felswänden. Im ersten Licht der aufgehenden Sonne erglühten die Basaltwände in warmen Rotbraun. Der mit verfilztem Dornbusch überwucherte Talboden lag noch im Schatten.

In nie erlahmender Ehrfurcht und zutiefst beglückt, wanderten meine Augen zunächst über die wilde Unberührtheit des Geländes. In seiner herben Großartigkeit haben viele Bereiche Namibias nicht seinesgleichen, sind, wenn überhaupt, nur Vergleichbar mit dem berühmten Northern Frontier District Kenias oder einzelner anderer Gegenden am Horn von Afrika oder der Sahelzone.

Dann nahm ich mein Fernglas vor die Augen und begann die Hänge abzuglasen. Plötzlich durchzuckte mich ein freudiger Adrenalinstoß. Für einen Moment glänzte das Gehörn eines Kudubullen in dem nun auch in das Tal fallendem Sonnenlicht. Bei geduldigem, sorgfältigem Hinsehen nahmen nicht ein, sondern vier Kudubullen langsam Gestalt an. Eine geraume Weile beobachteten und begutachteten wir diese nun, wie sie gemächlich hin und her ästen, immer wieder lange verschwunden waren, um dann erneut aufzutauchen. Einer der Bullen war wohl ausgereift und vielleicht schussbar, die anderen auf jeden Fall zu jung – alles nicht das, wonach wir suchten.

Der Morgen des sechsten Jagdtages der diesjährigen Safari, für Patrick insgesamt der sechzehnte Tag auf der Suche nach einem Kudubullen, fand uns zwischen großen Felsblöcken kauernd auf einem Grat, von wo aus wir einen Bergkessel überblicken konnten, in den von allen Seiten steile Hänge in ein kleines Tal hinabstürzten. Ein wildes Gelände mit tiefen Rinnen und felsigen Kuppen, in dem sich ein Kudu zwischen großen, grauen Felsblöcken, Moringa- und Sterkuliabäumen, zwischen bizarren Balsam- und Hakendornbäumen unkenntlich machen konnte.

Vor ein paar Jahren war es hier während eines heftigen Sturzregens an einem steilen Hang zu einem Erdrutsch gekommen, der große Felsblöcke beidseits einer Erosionsrinne aufgetürmt hatte, während das Wasser in den nachfolgenden Regenzeiten die Rinne tief ausgewaschen hatte. Durch den Erdrutsch war in einen Hang eine kleine Blöße entstanden, in der sich langsam wieder die ersten Pionierpflanzen ansiedelten. Als ich nun dieses Gelände abzuglasen begann und meine Augen gerade über die Blöße des Erdrutsches wanderten, war es mir – während mich gleichzeitig ein wilder Adrenalinschub durchzuckte –, als öffne sich plötzlich der Vorhang zu einer Bühne, die nun endlich der Hauptdarsteller dieses Dramas betrat.

In großer Gelassenheit, eins mit sich und seiner herben, wilden Umgebung, grau und wuchtig, den schweren Träger und den Kopf tief haltend, der lange Kehlbart von der Morgensonne umschmeichelt, die Spiralen des herrlichen Gehörns weit über den Rücken hinausragend, zog ein großer, alter Kudubulle mit würdevollen, leicht schwankenden Schritten über die Blöße.

Nichts, kein anderes Wildtier, kann der vollständigen Harmonie dieses Momentes gleichkommen, wenn ein voll ausgereifter Kudubulle sich aus der Unsichtbarkeit löst und in seiner ganzen Pracht in unbeschreiblicher, selbstbewusster Bescheidenheit die Bühne seiner ureigenen natürlichen Umgebung betritt.

Erst die nachträgliche Betrachtung führt den wundervollen Moment in seiner ganzen Großartigkeit so richtig vor Augen.

Denn es galt nun zu handeln, die vielleicht einzige Chance zu nutzen. Bevor wir uns hinter den Grat zurückzogen, um verriegelt in das Tal abzusteigen, entdeckte ich in der Nähe des Alten, noch einen zweiten, jüngeren Bullen. Bevor wir uns, zunächst die Deckung eines Trockenflusses nutzend und dann über den geröllübersähten Boden eines dornigen Dickichtes mühsam und mit heftig klopfendem Herzen möglichst lautlos zu einer kleinen Felskuppe hinarbeiteten, von wo wir auf Schussentfernung an der durch den Erdrutsch verursachten Blöße sein würden, bemerkte ich deshalb noch, „wir müssen vorsichtig sein, dass Du nicht den falschen Bullen beschießt!“.

Als wir die Felskuppe schließlich erkletterten und mit angehaltem Atem über den Rand spähten, war die Bühne leer. Vorsichtig richtete Patrick sich ein. Dann begann erneut die Suche nach einem Kudu, von dem wir nun wussten, dass er in unmittelbarer Nähe sein musste. Nach einer Weile des atemlosen Lauerns und Spähens entdecke Patrick durch das Zielfernrohr einen Kudu – doch es war der Junge.

Wieder ruhig werden. Und weitersuchen, stets in angstvoller Gespanntheit – wo ist der Alte?

Dann war er plötzlich da. Er stand spitz von uns weg zwischen großen Felsblöcken unter einem Dornbusch. Vor dem im gleißenden Licht liegendem Hintergrund wurde der mächtige Träger und das in wunderbaren Spiralen hochragende Gehörn des im Schatten stehenden Tieres dunkel hervorgehoben. Patrick hatte ihn im Glas, doch so konnte man nicht schießen. Der Kudu tat einen Schritt zur Seite – und war wieder weg.

Oberhalb im Hang war nun ein zweiter jüngerer Bulle. Man muss dies alles erlebt haben, um wirklich zu wissen, wie wunderbar der Kudu mit seiner Umwelt verschmilzt.

Der Alte tauchte wieder auf, wurde plötzlich unruhig, zog witternd in der Erosionsrinne entlang, zog auf den jenseitigen Rand der Rinne hoch, war einen Moment frei – donnernd rollte der Schuss durch das Tal.

Im Knall des Schusses tauchte der Kudu in die Rinne hinunter und ich konnte das Geschoss oberhalb im Hang einschlagen sehen.

Deshalb hatte ich zunächst den Eindruck, dass der Schuss über den Bullen hinwegging und drängte Patrick höher zu mir hinaufzukommen und sich langgestreckt auf einem Felsen hinzukauern und bereit zu sein, fall der Kudu irgendwo wieder auftauchen würde.

Doch Sekunden später war in der Rinne ein Poltern zu hören, als wäre der Bulle gefallen. Dann kehrte Totenstille ein.

Wir besprachen uns flüsternd. Patrick meine: „Ich habe ihn zumindest nirgends abspringen sehen.“

„Hast Du die beiden jungen Bullen abspringen sehen? Dies ist ein Kudu, die können sich auf Zehenspitzen unbemerkt verdrücken! Doch auch ich glaube, dass er in der Rinne liegen muss.“

Nach einer Pause von zehn Minuten gingen wir hinüber und kletterten in banger Erwartung auf die aufgetürmten Felsblöcke, um in die Rinne hineinzusehen.

Und zum zweiten Mal an diesem Tage war es mir, als öffne sich der Vorhang einer Bühne – diesmal zum letzten Akt.

Dort, wenig Meter unter uns, lag, so wie er gefallen war und sein Leben ausgehaucht hatte, ein über alle Maßen prachtvoller alter Kudubulle – unsere Beute. Die roten Blutspritzer auf den Felsblöcken dort wo er in die Rinne hinuntergestürzt war und vor allem an seinem Äser beleuchteten dramatisch den nicht zu beschönigen Zwiespalt dieses Dramas um Leben und Tod.

Dieser Artikel wurde erstmals in der 2026 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.

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