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Das Ballett der Natur
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Zu guter Letzt bei Sonnenuntergang

Ich war schon mehrmals in Namibia. Der geheimnisvolle Zauber dieses Landes zieht mich immer wieder an und jede Reise ist voller einzigartiger Erlebnisse. Die jüngste Safari hatte ich für Ende Mai geplant, um mit der Kudu-Brunft zusammenzufallen. Dadurch hoffte ich meine Chancen zu verbessern, einen ganz besonderen Kudu zu erbeuten. Doch selbst bei erhöhter Wahrscheinlichkeit bleibt die ungeheure Weite des Hochlands von Zentral-Namibia eine Herausforderung. Ich war darauf eingestellt, viele schöne Stunden mit der Suche nach meiner Trophäe zu verbringen. Dabei würde ich ausreichend Gelegenheit haben, mich meiner anderen Leidenschaft zu widmen: der Vogelbeobachtung. Ich liebe die Jagd, aber ebenso schätze ich die Zeit zwischen Jagdausflügen, wenn ich mich an den anderen Seiten der Wildnis erfreuen kann – insbesondere der fast grenzenlosen Vielfalt an Vögeln. Mit Fotos von Sekretären und anderen interessanten Vögeln, die seine Wildkameras an Wasserstellen aufgenommen hatten, hatte mich Hannes Du Plessis so richtig auf den Geschmack gebracht. Da gab es etliches, was ich auf meiner „Lifer-Liste“ abhaken wollte. Jim Athearn

D er erste Morgen auf der Jagdfarm Auf einer Jagdsafari nehmen wir uns immer einen Halskette zurechtzulegen, die ich sorgsam Bergzicht in Zentral-Namibia war ungewohnt windig für die Jahreszeit, und der Wind sollte uns noch während der gesamten Safari zu scha en machen. Gleich nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg, gespannt, was wir im Busch vor nden würden.

In den nächsten Tagen gelang es Steve, nach einigen mühsamen Pirschstunden einen herrlichen Kudu-Bullen mit Weitschuss zu erlegen. Außerdem erlebte er die Freuden des Robbens als er mit Hannes und dem Tracker von weither auf eine argwöhnische Gemsbock-Herde zu pirschte.

Tags darauf war ich an der Reihe. Hannes deutete auf einen winzigen schwarzen Punkt auf der weiten grasbestandenen Fläche. Vermutlich sei es ein kapitales Weißschwanz- Gnu, sagte er. Ich wusste schon, was kommen würde als er mir die Knieschützer und Handschuhe reichte. Auf allen Vieren ging es weiter und ich verlor das Zeitgefühl. Endlich richteten wir uns auf, um uns zu orientieren. Wir waren noch etwa 500 Meter entfernt und mussten den Abstand weiter verringern ohne die Springböcke aufzuschrecken, die jetzt zwischen uns und dem Gnu standen. Schließlich hielten wir hinter einem kleinen Busch inne und beschlossen, dass wir uns nicht noch weiter annähern konnten. Ich drückte auf den Abzug und hörte erleichtert das gewohnte Geräusch des Kugelschlags.

Es war ein herrlicher Bulle. Unser langes Pirschen und Robben wurde mit einer guten Trophäe belohnt.

Während der restlichen Safari hatten wir noch einiges vor – abgesehen davon, dass ich den ganz besonderen Kudu-Bullen nden musste. Wir verbrachten einige Nachmittage an Wasserstellen und beobachteten das Kommen und Gehen des Wildes und die Vogelwelt. Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, und deshalb waren noch zahlreiche Zugvögel da. Sie sammelten sich in großen Schwärmen und veranstalteten ein regelrechtes Schauspiel an den Wasserstellen. Wir freuten uns an den leuchtenden Farben von Gabelschwanzspinten, Gabelracken, Rosenpapageien und dem charakteristischen Federschwanz von Spitzschwanz- Paradieswitwen und Königswitwen. Einmal ließ sich auf dem Rückweg zur Lodge selbst ein Sekretär-Paar am Straßenrand blicken.

Tag frei von der Jagd und der Vogelbeobachtung und fahren nach Windhoek. Mittagessen im Joe’s Beer House ist ein Muss, danach ist Sightseeing und Shopping mit Hannes Frau, Geraldine, angesagt. Während Laura Mitbringsel für die Enkelkinder aussuchte, erstand ich schnell eine Halskette, die sie bewundert hatte. Die Kette sollte eine besondere Überraschung werden, weil Laura es mit Gelassenheit nimmt, wenn ich voller Leidenschaft Kudus und anderem afrikanischen Wild hinterher bin. Ich wollte ihr die Kette überreichen nachdem ich meinen besonderen Kudu erlegt hatte. Nun musste ich den schwer aufspürbaren Bullen nur noch zu fassen bekommen.

Wie es häu g so geht wenn man es auf ein spezielles Wild abgesehen hat, sichtet man ein anderes, das man sich nicht entgehen lassen will. In diesem Fall war es ein außergewöhnlicher Impala-Bock, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sofort nahmen wir die Verfolgung auf. Wir mussten nur nahe genug herankommen, ohne dass der Bock und sein Harem Wind von uns bekamen. Zwar gibt es kleinere Kaliber, die für Wild von Impala-Größe mehr als ausreichend sind, aber meine .338 Winchester Magnum hat sich immer als sehr e ektiv erwiesen, ohne übermäßigen Schaden an der Trophäe anzurichten. Das Glück war auf unserer Seite: die Herde zog in dichteres Gebüsch und wir konnten Stellung beziehen. Als ich den Abzug drückte und wir das unverwechselbare Geräusch des Kugelschlags hörten, stob die ganze Herde in einer Staubwolke davon. Nach einem bangen 250-Meter-Marsch zu der Stelle, wo wir die Impalas zuletzt gesehen hatten, lag zu meiner Erleichterung ein guter Bock im Gestrüpp.

Nun stand das Ende unserer Safari bevor, aber der Wind hielt an und die Kudus schienen es vorzuziehen, im dichten Gebüsch den Beginn der Brunft abzuwarten, der sich um einige Wochen verzögert hatte. Nach all den Tagen, an denen wir früh aufgebrochen und bis zur Dunkelheit im Busch geblieben waren, nahte der letzte Morgen. Wir hatten einige gute Kudubullen gesehen, aber keiner entsprach so ganz meinen Erwartungen. Wir hatten alle Ecken der riesigen 25.000-Hektar-Farm abgesucht, aber die Kudus zeigten uns, warum sie „grauer Geist“ genannt werden – sie machten sich unsichtbar. Ich begann mir Plan B für die Überreichung der Überraschungs- in meinem Tagesrucksack versteckt hielt. Laura war dermaßen begeistert von unserem Aufenthalt in Namibia, dass sie bereits vom nächsten Besuch sprach.

Am letzten Jagdtag läutet das Mittagessen üblicherweise das Ende der Jagd ein. Nachmittags ndet eine gemächliche Wildbeobachtungsfahrt statt und als Krönung eine Happy Hour auf dem „Sonnenuntergangs-Bergrücken“. Ich bestätigte Geraldine unsere Teilnahme und sagte, es sei zwar bedauerlich, dass ich nicht den unübertre baren Kudu-Bullen erlegen konnte, aber der Sonnenuntergang, den ich mit Laura beobachten würde, sei ebenfalls eine großartige Gelegenheit, ihr die Kette zu überreichen. Da Laura zum ersten Mal dabei war, ahnte sie nichts von dem herrlichen Fleckchen auf dem Bergrücken und der wunderbaren Sundowner-Sitte.

Nach dem Lunch und einer kurzen Mittagsruhe fanden wir uns draußen beim Geländewagen ein: mit geladenen Kamerabatterien, extra Sonnenschutzmittel gegen die brennende afrikanische Sonne und in Erwartung eines entspannten Aus ugs.

Ich hatte die Kette für Laura in meiner Tasche. Diese Wildbeobachtungsfahrt am letzten Safaritag ist immer eine Freude für mich. Man hält nach wilden Tieren Ausschau und sinnt über das große Abenteuer nach, das man gerade erlebt hat – auch diesmal, obgleich mir Afrikas grauer Geist einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Hannes hatte sich so sehr angestrengt, ihn zu nden, dass mir der Mangel an Erfolg inzwischen mehr für ihn leidtat als für mich. Bevor wir zur Wildbeobachtung aufbrachen sah er mich mit meiner Kamera und fragte, wo mein Gewehr sei. Ich hatte es bereits gereinigt und weggepackt und antwortete: „Wir machen doch nur eine Beobachtungsfahrt“. „Normalerweise, ja, aber nimm es lieber mit, Jim“, sagte Hannes. „Man weiß doch nie, was einem begegnet, und man sollte lieber vorbereitet sein.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Im Nu hatte ich mein Gewehr zur Hand und als wir losfuhren, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass man gelegentlich etwas vor die Flinte bekommt, wenn man sie denn dabei hat.

Der Nachmittag ging seinen Lauf und als die Sonne zu sinken begann, bogen wir endlich auf den Weg ab, der zu dem Hügel führte, wo – wie ich wusste – Hannes und Geraldines Tochter Caren mit Sundowner- Getränken auf uns wartete. Die Hoffnung auf einen Kudu in letzter Minute musste ich wohl endgültig aufgeben. Jetzt freute ich mich auf die bevorstehende „Sonnenuntergangs-Überraschung“.

Ich hatte Caren über Funk mit Hannes sprechen hören, zwar in Afrikaans, aber ich verstand, dass es darum ging, wo wir uns gerade aufhielten und dass alles für uns vorbereitet war. Und dann begann sich Merkwürdiges zuzutragen. Caren meldete sich erneut und obgleich ich diesmal keinerlei Ahnung hatte, wovon sie sprach, fiel mir die Aufregung in ihrer Stimme auf. Als nächstes schaltete Hannes einen Gang höher und fuhr mit Tempo
den Weg zurück, auf dem wir gerade gekommen waren. Mein Freund Steve hielt das Geländer umklammert und sagte zu mir: „Da muss irgendwas im Gange sein, so schnell sind wir die ganze Woche nicht gefahren.“ Zwar stand die Sonne bereits tief am Horizont, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Hannes mit seiner Zeitberechnung so daneben lag, dass wir jetzt zum Bergrücken rasen mussten. Carens nächster Funkkontakt deutete darauf hin, dass sie einen kapitalen Kudu-Bullen gesichtet hatte. Laura, die immer noch nichts von der Überraschung ahnte, stellte die naheliegende Frage: „Wo sind Caren und die anderen denn, dass sie einen Kudu gesichtet haben?“ Ohne Zögern erklärte Hannes: „Sie fuhren im Gelände herum wie wir und sahen ihn oben am Hügel.“

Wir hielten an, stiegen aus, schickten den Tracker auf Spurensuche um die eine Seite des Hügels und schlugen selbst die entgegengesetzte Richtung ein. Wir waren noch nicht sonderlich weit gegangen und hatten mehrere Kudu- Kühe gesichtet, als Hannes oben zum Hügel hindeutete: „Da ist er!“ Es war ein kapitaler Bulle und ich wusste auf den ersten Blick, dass es genau der war, den ich gesucht hatte. Ich brachte mein Gewehr in Anschlag, aber zuerst musste ich mich vergewissern, ob ich in diese Richtung schießen konnte – denn Caren hielt sich doch irgendwo in der Nähe auf. Hannes versicherte, dass ich loslegen konnte. Ich zielte hinter die Schulter des Bullen. Gerade wandte er sich hügelaufwärts und mir ging nur noch durch den Sinn, dass ich ihn sofort zur Strecke bringen musste, weil die Dämmerung einsetzte und wir am nächsten Morgen heimwärts iegen mussten. Meine .338 Win Mag ließ mich nicht im Stich: zu meiner großen Erleichterung brach der Kudu auf der Stelle zusammen.

Wir stiegen den Hügel hinauf, um uns den Schuss anzusehen. Hannes und ich waren so aufgeregt, dass wir keine Zeit verloren. Wir mussten den Kudu-Bullen sehen. Ich konnte kaum glauben wie schön er war – er entsprach in jeder Hinsicht meinen Vorstellungen. Dann hörte ich Hannes rufen: „Jim, wir haben ein Dilemma!“ Ich wusste was er meinte – Kudu Fotos oder Sonnenuntergang auf dem Bergrücken. Die Fotos konnten wir später mit Blitzlicht machen, aber der Sonnenuntergang ließ nicht auf sich warten. Steve und Laura hatten „Dilemma‘ gehört und dachten, dass der Kudu möglicherweise entkommen sei.

Wir erklärten den beiden, dass wir Hilfe herbeiholen wollten, um den Kudu vor Einbruch der Dunkelheit zu verladen. Als wir den kurzen Fußweg zur Hügelkuppe erreicht hatten, ließen wir Laura und Steve den Vortritt. Denn oben stand Caren an einem großen Tisch voller Getränke und Appetithäppchen. Auch ein Lagerfeuer loderte bereits. Trotz der Spannung, die wir gerade hinter uns hatten, war es eine großartige Überraschung. Wir ließen uns gemütlich nieder und feierten das perfekte Ende eines wundervollen Aufenthaltes. Für Steve war es die erste, sehr erfolgreiche und aufregende Jagd in Namibia, Laura hatte eine vergnügliche Zeit verbracht, und ich war unter höchst ungewöhnlichen Umständen an meinen ganz besonderen Kudu gekommen. Jetzt endlich konnte ich Laura die Halskette überreichen und ihr für diesen Jagdaufenthalt danken – mit dem Versprechen, zurückzukommen. Es war längst dunkel, als wir den Hügel hinunterstiegen, um Kudu-Fotos zu machen. Wer hätte je gedacht, dass meine Kudu-Suche mit einer zufälligen Sichtung kurz vor Sonnenuntergang am letzten Safari-Tag enden würde?

Bedeutet dieser Erfolg, dass ich nicht zurückkommen brauche? Namibia ist voller faszinierender wilder Plätze, die erkundet werden wolle. Ich denke, zuoberst auf meiner Liste steht jetzt der Nordosten mit seinen 300 Vogelarten und dem Tigerfisch, der im Okavango und Sambesi lauert. Ich kann es kaum erwarten.

Dieser Artikel wurde erstmals in der 2017 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.

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