V or einer knappen Stunde haben wir den uralten Oryxbullen am Gegenhang ausgemacht. Es ist nun bereits später Vormittag und der alte Recke steht gemütlich unter einem großen Wurmrindenbaum, der ihm wertvollen Schatten spendet. Roland und ich haben uns ihm in gebückter Haltung bereits auf etwa 600m genähert, doch nun erscheint es unmöglich, unbemerkt zu bleiben und auf Schussdistanz heranzukommen. Der alte Bulle hat sich einen perfekten Schattenplatz ausgesucht, von dem aus er die gesamte Gegend genaustens überblicken kann. Immer wieder dreht er sein Haupt und sichert, mal in unsere Richtung und mal in die andere, um sich zu vergewissern dass kein Feind in der Nähe ist. Durch das Glas wirkt er in der immernden Hitze echt majestätisch, mit seinem massigen Körper und den wuchtigen, abgenutzten Stangen. Solch ein alter Kämpfer ist mit seinen Narben und mit seiner wunderschönen Kriegsbemalung wahrlich der König der Wüste.
Doch Staunen bringt uns nun nicht zum Erfolg – wir müssen weiter, denn die Zeit bleibt nicht stehen und die Sonne macht uns mittlerweile zu Bratmännchen. Vorsichtig bewegen wir uns in niedrigster Gangart weiter, immer bis zum nächsten Strauch, um die spärliche Deckung so gut wie möglich auszunutzen. Bei jedem Schritt muss der Fuß präzise gesetzt werden, um jegliches Geräusch, das durch die Steine verursacht wird, zu vermeiden. Ab und zu rumpelt es hinter mir, da Roland es natürlich nicht gewohnt ist, auf solchen Steinen zu gehen. Plötzlich wagt es der Bulle, in unsere Richtung zu sichern. „Mist, hat er uns mitbekommen?“, üstert Roland hinter mir. Ich bleibe stehen, nehme in Zeitlupe meine Hand nach hinten und gebe Roland ein Zeichen, dass er sich nicht bewegen darf. So stehen wir nun da, wagen uns nicht zu bewegen und lassen uns die Sonne auf den Nacken brennen.
Die Zeit scheint wie eingefroren und sie scheint trotz dieser glühenden Hitze nicht zu schmelzen. Noch immer sichert der Bulle in unsere Richtung und ich spüre, dass meine Beine langsam zu schmerzen beginnen. Roland geht es bestimmt nicht anders, doch wir haben nun keine andere Wahl, wir müssen ausharren. Nach einer gefühlten Ewigkeit werden wir endlich erlöst, er sichert nicht mehr. Wenn wir nun nicht unsere Strategie ändern, war alles für die Katz. Also gebe ich Roland zu verstehen, wir müssen runter auf den Boden. Eher gesagt, auf die heißen Steine. ‚,Setz dich auf deinen Hintern und lege die Wa e auf deinen Schoß. Mit den Händen stützt du dich ab und mit den Beinen ziehst du dich nach vorne“, üstere ich Roland zu. Meter um Meter robben wir vorwärts. Kurz die Hände an der Hose reiben um Brandblasen zu vermeiden, dann weiter. Ich blicke ab und zu hinter mich um mich zu vergewissern, dass Roland noch in Ordnung ist, denn die Hitze und die körperliche Anstrengung stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Doch es hilft alles nichts, wir müssen weiter.
Plötzlich merke ich, dass der Bulle unruhig wird, doch 400m sind noch viel zu weit für einen guten Schuss. Hat er uns bemerkt? Hat er Wind bekommen? Nein, der Wind steht gut, wahrscheinlich zieht er einfach nur weiter um einen besseren Baum aufzusuchen oder Wasser zu nden. Als ich ihn durch mein Glas beobachte, sehe ich, dass er langsam den Hang weiter hinaufzieht. Sollte er bald hinter dem Hügel verschwinden, so hätten wir die perfekte Gelegenheit, schnell aufzuschließen und könnten eventuell auf der anderen Seite des Hügels zum Schuss kommen. Also heißt es abwarten.
Dicht hinter mir sitzt Roland auf den glühend heißen Steinen. Ich sehe wie er sich vorsichtig die Dornen aus der Hand zupft, als ich zu ihm zurückblicke. In diesem Moment muss ich irgendwie an das Südwester Lied denken, denn die Klippen sind grad wahrlich von der Sonne verbrannt. Die Klippen scheinen es ja gewohnt zu sein, doch als Mensch erfährt man spätestens jetzt, dass man in Afrika ist, wo die Sonne erbarmungslos auf einen niederbrennt.
Der Oryx knabbert hier und da an einem Grashalm, sichert kurz, streckt seine Lauscher in alle Richtungen und zieht dann gemütlich und majestätisch weiter den Hang hinauf. Man erkennt, dass dieses unwegsame Gelände sein Zuhause ist, denn trotz seiner massigen Körpermaße meistert er es mit unvorstellbarer Leichtigkeit. Er wirkt wie ein alter Mann auf einem Gehweg, der denkt, er sei noch viel jünger. Wir sitzen immer noch auf diesen glühend heißen Steinen, doch gleich ist es soweit und wir werden schnell handeln müssen. Nun steht er dort oben am Horizont und das Flimmern der Hitze lässt ihn so mit der Landschaft verschmelzen, dass er fast nicht mehr auszumachen ist. Seine wuchtigen Stangen sind das letzte was ich nun hinter dem Horizont verschwinden sehe.
Jetzt muss es schnell gehen, damit wir ihn noch auf der anderen Seite erwischen! So schnell wie möglich versuchen wir aufzuschließen, was nicht so einfach ist bei der Hitze und den vielen Steinen. Man muss sehr darauf achten, dass man nicht stolpert, denn das könnte schmerzhaft werden. Nach den ersten 200 Metern muss ich mein Tempo reduzieren, damit Roland nicht zu weit zurückfällt. Die Steine machen ihm anscheinend sehr zu scha en. Aber wir müssen weiter. So schnell es geht erklimmen wir nun den Hang, auf dem der alte Bulle eben noch gemütlich stand. Ich zeige Roland kurz den Baum unter dem der Bulle gestanden hat, damit er etwas Luft holen kann; dann geht es weiter den Hang hinauf. Fast oben angekommen werden wir wieder langsamer, um das Rumpeln der Steine zu vermeiden. Ho entlich hat er uns noch nicht gehört und ist ab und davon…
Doch wir wissen es nicht, wir müssen vorsichtig weiter und ho en, dass wir nicht au aufen, wenn er denn noch da ist. Mit höchster Aufmerksamkeit blicke ich nach vorne, um ein Zeichen von ihm oder eine Bewegung auszumachen. Er kann hier irgendwo unterhalb von uns stehen.
Ich gebe Roland zu verstehen, dass wir nun sehr vorsichtig sein müssen und dass er tief Luft holen soll, denn er ist noch immer am Schnaufen und wenn der Puls so hoch schlägt, wird es schwierig für ihn, einen guten Schuss anzubringen.
Beim nächsten Schritt entdecke ich etwas Dunkles schräg unterhalb von uns. Vorsichtig nehme ich das Glas zur Hand und erkenne deutlich, dass es sich um den gesuchten Bullen mit den kurzen, wuchtigen Stangen handelt. Dort ist er! Nun bloß keinen Fehler machen. Er hat uns noch nicht bemerkt und wetzt gerade seine Stangen an einem trockenen Silberstrauch. ,,Zu viele Büsche, wir müssen weiter nach rechts”, üstere ich Roland zu. Ich gehe langsam zu Boden und zeige ihm, dass wir wieder robben müssen. Also Hintern auf die Steine und Wa e auf den Schoß, los.
Der Bulle ist noch immer mit seiner Hornpflege beschäftigt. Das müssen wir nun ausnutzen, da er etwas abgelenkt ist und momentan nicht so wachsam. Nach einigen Metern entdecke ich eine Lücke. Er steht keine 100 Meter unter uns am Hang, doch leider steht er spitz abwärts und somit schlecht für einen Schuss. Vielleicht stellt er sich ja gleich breit, denke ich mir und stelle langsam und vorsichtig den Schießstock auf. Genau in diesem Moment erblickt der Bulle eine Bewegung und sichert nun aufmerksam über seine Schulter in unsere Richtung. Mit dem halb aufgestellten Schießstock in der Hand erstarre ich und wage kaum noch zu atmen. Jetzt darf Roland sich hinter mir bloß nicht bewegen, sonst war alles umsonst.
Zum Glück glaubt der Bulle nach kurzer Zeit, sich getäuscht zu haben, und widmet sich erneut seiner Hornp ege an dem Strauch. Vorsichtig positioniere ich den Schießstock und zeige Roland, dass er herankommen soll um sich einzurichten und bereit zu machen, denn der Bulle könnte sich jeden Moment drehen oder wieder in unsere Richtung sichern. Roland hat sich eingerichtet und versucht seinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Jetzt heißt es erneut, geduldig zu sein und abzuwarten.
Die Sonne hat jetzt ihren höchsten Stand erreicht und in dieser Situation weiß man nicht, ob die heißen Steine und die trockene Kehle schlimmer sind, oder ob das Jagd eber doch alles übertri t. Nach einer Weile des Wartens entschließe ich mich zu pfeifen und hoffe, dass der Bulle sich breitstellt und Roland zum Schuss kommt. Ich pfeife kurz. Der Bulle hebt sein Haupt, sichert jedoch in die andere Richtung. Als ich erneut pfeife, stellt er sich plötzlich breit und sichert erschrocken in unsere Richtung. ,,Jetzt! Schieß!“ Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, ist der Schuss auch schon draußen. Im Knall sehe durch das Glas, wie der massige Körper des alten Bullen in sich zusammensackt. „Repetieren und draufbleiben!“, sage ich zu Roland. Doch nach einigen Minuten scheint sich nichts mehr zu rühren. Er liegt dort – mausetot.
Als wir zu ihm hinuntergehen, erkennt auch Roland, dass es ein wirklich uralter Bulle ist. Ein echter, alter Kämpfer, ein König der Wüste.
Die Mühe hat sich gelohnt und in solchen Momenten erfüllt den Jäger eine unbeschreibliche Dankbarkeit und Zufriedenheit. Roland steht die Freude ins Gesicht geschrieben und er sagt zu mir: ,,Jetzt weiß ich, was es heißt in Afrika zu jagen – mit schmerzenden Beinen auf diesen heißen Steinen!“
Dieser Artikel wurde erstmals in der 2017 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.
Der Gemsbock ist Namibias Wappentier. Er ziert auch das Logo von Namibia Parks and Wildlife, der Parkverwaltungsbehörde im Umwelt- und Tourismusministerium. Taxonomisch gehört er zur Gattung der Oryxantilopen. Mehrere Arten und Unterarten dieser Gattung sind in Teilen von Afrika und der Arabischen Halbinsel heimisch, darunter der arabische Oryx (Oryx leucoryx), die Säbelantilope (Oryx dammah) und der Beisa-Oryx (Oryx beisa). Eine Unterart des Beisa-Oryx ist der eher ockerfarbene Büschelohr-Oryx mit ausgeprägten Felltroddeln an den Ohren. In Touristenkreisen wird die namibische Oryx-Art meistens einfach als Oryx bezeichnet, was angesichts der beschriebenen Artenvielfalt nicht völlig korrekt ist. Auf gut Deutsch heißt er Spießbock. Wir nennen ihn Gemsbock, was auch nicht richtig, aber in unseren Breiten üblich ist. Viele Oryx-Arten, aber nur Oryx gazella, der einzigartige Gemsbock, ist in den trockeneren Gegenden im südlichen Afrika beheimatet.