Zuletzt noch ein Eland
Juni 10, 2016
Meine unvergessliche Zebrapirsch
Juni 13, 2016

Ort der grossartigen Einsamkeit

Das Kaokoveld. Trocken und unwirtlich. Eine weite, abgelegene Region im Nordwesten von Namibia. Die reichen Wildbestände wären durch die grassierende Wilderei und die extreme Dürre der frühen Achtzigerjahre fast vernichtet worden. Unkonventionelle Ideen, die das naturschützerische Denken jener Jahre in Frage stellten, sorgten dafür, dass sich das Kaokoveld wieder erholte und zu einer der wenigen Erfolgsstorys in der jüngeren Naturschutzgeschichte wurde. Heute gehört es zu den letzten Wildnisgebieten in Afrika. Von Anton Esterhuizen

E s ist Mittag, Ende Oktober 2012. Die Temperaturen liegen deutlich über 40º Celsius, die Hitze ist unerträglich. Wir sind soeben auf dem Gifel eines Berges angelangt, und der Schweiß brennt mir in den Augen. Der steile Anstieg über lose Felsbrocken hat diverse Schrammen und blaue Flecken hinterlassen, aber ich nehme sie kaum zur Kenntnis, denn unter uns tut sich eine Landschaft auf, die schlichtweg atemberaubend ist. Selbst nach so vielen Jahren im Kaokoveld bin ich immer noch vollkommen überwältigt. Wir sind nicht auf der Jagd, sondern erkunden diese wilde Gegend für meine nächsten Kunden, die in einigen Tagen aus Schweden anreisen.

Alles ist unglaublich trocken. Das ganze Jahr kein Tropfen Regen. Das bisschen Gras, das noch übrig ist, stammt aus der vorigen Regenzeit. Während ich die Weite der Ebenen auf mich wirken lasse, tauchen in der Ferne mehrere Strauße auf. In einer Reihe steuern sie langsam auf den einzigen Trockenflusslauf dieser Gegend zu. Sie scheinen über der flimmernden Schotterfläche zu schweben. Mit herabhängenden Flügeln versuchen sie sich Kühlung zu verschaffen. Nur einige vereinzelte Kameldorn- und Anabäume bieten Schatten gegen die brennende Sonne in dieser Landschaft der weiten unberührten Schotterebenen mit dem Felsschutt uralter Lavaströme und der gewaltigen Gebirgszüge mit steil abfallenden Felswänden und endlosen Geröllhängen. Regen ist eine Seltenheit, und in den meisten Jahren liegt die Fläche ausgedörrt in der brütenden Hitze und ist den versengenden Wüstenwinden ausgesetzt. Doch bisweilen dringt der dichte Küstennebel, der dank des kalten Benguelastroms aus dem Atlantik aufsteigt, weiter landeinwärts und schafft eine geheimnisvolle, undurchdringliche Atmosphäre. Oryx-Antilopen tauchen wie Gespenster aus dem Nichts auf, um im nächsten Augenblick gleich wieder im dichten Nebel zu verschwinden.

Während ich die kargen Ebenen mit dem Fernglas absuche und die Strauße aus den Augen verliere, bin ich mir der brennenden Felsen unter mir wohl bewusst. In der Ferne kann ich die Oasenlinie des Hoarusibs ausmachen. Er ist einer von rund einem Dutzend Trockenflüssen, die nach Westen streben und in den kalten Atlantik münden. Sie sind die Lebensader für die Wildtiere in dieser wüstenhaften Landschaft. Querliegende Felsbarrieren zwingen unterirdisches Wasser an die Oberfläche, so dass ständige und temporäre Wasserstellen für die Tiere der Wüste entstehen. Zugleich ist die Vegetation dieser Oasenlinien eine wesentliche Nahrungsquelle für Springböcke, Oryx-Antilopen, Giraffen, Elefanten, schwarze Nashörner und anderes Wild, das in den Ebenen und den nahe gelegenen Bergen heimisch ist. Notwendigerweise patrouillieren Löwen, Leoparden, Hyänen und Geparden die Oasenlinien. Weiter nach Nordwesten ist das Wild auf Quellen zwischen den Granitfelsen angewiesen, wie etwa bei Ogams. Zwar ist das Wasser dieser Quelle wegen des hohen Salzgehalts für Menschen ungenießbar, aber Antilopen wie Oryx und Springbock löschen an diesem isolierten Platz mitten im Nichts gerne ihren Durst.

Neben mir sitzt Katendue, mein Fährtenleser, und raucht geruhsam seine Pfeife. Er weist auf einige Springböcke in der Ferne. Wie immer benutzt er dazu seinen ondongo, den Spazierstock. Seine spärliche Bekleidung passt zu dieser Hitze. Er ist fast nackt. Zwei Stoffstücke, vorne und hinten, sind in Falten gerafft unter den Ledergürtel um seine Taille geklemmt. Der Stoff ist weit entfernt von dem geschmeidigen Kalbfell, das sein Vater und sein Großvater trugen. Katendues Sandalen sind aus einem Stück Autoreifen gemacht. Sein langes Haar wird auf dem Kopf von einem weichen Ledertuch zusammengehalten, das im Nacken geknotet ist. Die Haartracht gibt Auskunft über seinen Personenstand. Die Himba gehören zu den letzten Völkern in Namibia, die nach wie vor an ihren alten Sitten und Bräuchen festhalten. Manche Historiker sind der Ansicht, dass die Himba bereits seit Mitte des 16. Jahrhunderts in dieser Gegend leben, einschließlich der jetzigen Provinz Namibe in Südwest-Angola. Andere meinen, dass der Name Himba nicht viel älter als hundert Jahre ist. Doch Spekulationen hin oder her, dieses Volk hat sich dieser wüstenhaften Region angepasst und züchtet auch heute noch wie eh und je seine Rinder. Die Himba sind Hirten, die einen halbnomadischen Lebensstil entwickelt haben. Mit ihren großen Rinderherden ziehen sie zwischen Quellen und Weidegebieten umher und leben in völligem Einklang mit der Tierwelt.

DSC_0059
Nur ein kleiner Salzbusch war unsere Deckung, aber der Springbock kam auf weniger als 100 Meter heran. Der Wind stand günstig für uns. Ohne durch mein Fernglas zu schauen wusste ich: das war er!

Ich kam zum ersten Mal zu Beginn der Siebzigerjahre noch als Junge mit meinem Vater ins Kaokoveld. Wir jagten Giraffen, Kudus und Hartmann Bergzebras an den Hängen der majestätischen Grootberg-Kette, und die ungeheure Weite, die außerordentliche Schönheit und Vielfalt der Landschaft zogen mich in ihren Bann. Die Abgeschiedenheit und die unberührte Natur hinterließen einen bleibenden Eindruck. Doch erst Ende der Neunziger hatte ich wieder die Gelegenheit, ins Kaokoveld zurückzukehren. Diesmal war ich frischvermählt und schätzte mich glücklich, mit meiner jungen Frau in dieser Ehrfurcht einflößenden Gegend arbeiten zu dürfen. Für mich ging ein Traum in Erfüllung.

Wir waren in einem abgelegenen Basislager namens Wêreldsend (Ende der Welt) stationiert, 60 km von der Küste entfernt im Herzen des Damaralandes. Ich führte unzählige Patrouillen und Safaris in dieser Gegend durch, dem ehemaligen Damaraland und Kaokoland, jetzt kollektiv als Kaokoveld bekannt. Meine Frau und ich machten uns in den darauffolgenden zehn Jahren intensiv mit unserer Umgebung vertraut. Es wird nur wenige Weiße geben, die das Kaokoveld so gut kennen wie wir. Ich erkundete jede Fahrspur, jeden Weg, jeden Pfad. Fußpatrouillen mit Mitgliedern der einheimischen Bevölkerung, den halbnomadischen Himba, gehörten zur Tagesordnung. Sie zeigten uns Quellen und Wasserstellen, deren Existenz kein Mensch vermutet hätte.

Es schien sich bezahlt zu machen, ehemalige Wilderer als Wildhüter einzusetzen. In manchen Gegenden hörte die Wilderei völlig auf. Nur noch vereinzelt wurde gewildert, und zwar für die eigene Ernährung. Gute Regenfälle, die veränderte Perspektive der örtlichen Bevölkerung und ihre proaktive Haltung zur Natur brachten die nötigen positiven Ergebnisse hervor. Die Wildbestände begannen sich in geradezu alarmierender Weise zu erholen.
Wildzählungen wurden eingeführt, und ein Aufwärtstrend war im Laufe der Jahre deutlich zu erkennen. Die Hegegebietsgesetzgebung, die das namibische Parlament 1996 verabschiedet hatte, machte sich ebenfalls bezahlt. Örtliche Gemeinschaften kümmerten sich jetzt um das Wild und konnten daraus Nutzen ziehen: durch Trophäenjagd, Joint Venture Lodge-Unterkünfte und Campingplätze, die von der Gemeinschaft geführt werden. Hegegebiete schafften Arbeitsplätze für ihre Mitglieder. Was zuvor als eine Bürde gesehen worden war, vermittelte der örtlichen Bevölkerung jetzt ein Gefühl der Eigentümerschaft.

1999 begann ich im Kaokoveld zu jagen. Zunächst ging es vor allem um die Ausdünnung von Beständen, aber ich freute mich, mit meiner Frau in freier Natur zu sein und dabei meiner Jagdleidenschaft nachgehen zu können. Im Laufe der nächsten Jahre machte ich etliche Jäger mit der Gegend bekannt und vermittelte Verträge in Form von formellen Jagdkonzessionen zwischen Hegegemeinschaften und professionellen Jagdveranstaltern. 2008 unterzeichnete ich für mein eigenes Unternehmen, Estreux Safaris, Verträge für die Hegegebiete Puros, Orupembe, Sanitatas und Marienfluss.

Jedes Jahr sagte ich nur einigen wenigen Jägern zu. Ich hatte nie sonderliches Interesse an großen Jagdgruppen oder möglichst vielen Trophäen, sondern war immer bemüht, jedem Jäger ein echtes Jagderlebnis zu vermitteln. Die bestmögliche Trophäe zu erlegen, die ich auf ethische Weise nach den Grundsätzen der fairen Jagd ausfindig machen konnte, war mein Motto und wird es immer bleiben. Die Jäger mussten körperlich recht fit sein, denn bei der Verfolgung ihrer Beute mussten sie im rauen Gelände täglich 10 bis 25 km zurücklegen. Am häufigsten wurde das Hartmann Bergzebra gejagt, und bei so manchem Jäger sorgte es auch am häufigsten für Frust. Die Leichtfüßigkeit, mit der die Zebras in bergigen Gegenden entfliehen, machte die Verfolgung zu einer echten Herausforderung. Ganz zu schweigen von der Hitze – oder je nach Jahreszeit, extremen Kälte – in der die Jagdausflüge stattfanden.

Derweil ich die Springböcke beobachtete, die mir Katendue gezeigt hatte, wanderten meine Gedanken zu einer Marketing-Aktion in Europa, an der ich früher im Jahr teilgenommen hatte. Bei einem Jagdkunden in Kitzbühel in Österreich sah ich seinen Springbock an der Wand und rief mir die Einzelheiten dieser Jagd ins Gedächtnis. Der Kunde hatte eine 16-tägige Kaokoveld-Rundfahrt mit Jagd gebucht. “Anton”, sagte er damals zu mir, „ich möchte nur einen einzigen außergewöhnlichen Springbock, sonst nichts.“

Ogams-Spring
Ogams Quelle. Zwar ist das Wasser dieser Quelle wegen des hohen Salzgehalts für Menschen ungenießbar, aber Antilopen wie Oryx und Springbock löschen an diesem isolierten Platz mitten im Nichts gerne ihren Durst.

Am 14. Juli, meinem Geburtstag, holte ich ihn am Flughafen ab. Am nächsten Tag fuhren wir ins Kaokoveld. In der Nähe von Sesfontein justierten wir sein Gewehr, eine .300 Remington Ultra Mag. An jenem Abend schlugen wir unser Lager unter den Sternen auf: im Trockenlauf des Ganamub, einem Zufluss des berühmten Hoanib.

Tags darauf trafen wir in Puros ein, einem Himba-Dorf zwischen gewaltigen Bergen und enormen Sandflächen. Westlich der kleinen Siedlung liegt der herrliche Trockenflusslauf des Hoarusib. Springböcke, aber auch Oryx-Antilopen und an die Wüste angepasste Elefanten ernähren sich von dem spärlichen Gras und den vereinzelten Bäumen und Büschen im Umkreis des Dorfes – ein deutliches Zeichen, dass der Naturschutz ein Riesenerfolg in diesem Gebiet ist. Wilderei gibt es nicht. Puros mit seinen rund 100 Einwohnern gilt als das Herz des Himba-Landes. Das Dorf besteht aus fünf bis sieben ozongandas, Gehöfte, die in der traditionellen Weise kreisförmig um ein Viehgehege angelegt sind. Ein Cuca Shop (Kneipe und Lädchen), das Büro der Hegegemeinschaft und eine solarbetriebene Wasserpumpanlage runden das Bild ab.

Eines frühen Morgens stiegen wir in eine kleine Schlucht hinunter und sahen einen massigen Oryx-Bullen mit nur einem Horn. Das andere war nahe am Ansatz abgebrochen. Sein Haar war noch gegen die Kälte aufgeplustert, er ahnte nichts von der lauernden Gefahr. Dieser Oryx war der ideale Kandidat, um den Wunsch der Hegegemeinschaft zu erfüllen und Fleisch für die Sitzung am nächsten Tag beizusteuern. Unten in der Schlucht wirbelte die leichte Brise aus Ost ein wenig und wir beschlossen, auf einen der kleineren Hügel zu steigen und an der Außenlinie entlang den Oryx zu überholen. Vorsicht war geboten, denn das Geröll machte ziemlichen Lärm, obwohl unsere knöchelhohen Stiefel weiche Sohlen hatten. Da es noch früh am Morgen war und das Wild nicht viel Jagddruck kennt, konnten wir uns einigermaßen leicht in Position bringen. Der Rucksack des Jagdgastes diente als Gewehrauflage. Jetzt mussten wir uns nur noch auf seine Schießkunst verlassen können. Es war ein recht weiter Schuss, aber die Kugel fand relativ einfach ihr Ziel. Der Bulle schaffte noch 30 Meter, dann brach er an einem Milchbusch zusammen.

In den folgenden Tagen waren wir noch viel auf der Jagd und sahen vermutlich um die 400 Springböcke. Kapitale Böcke waren eine Selbstverständlichkeit, aber mein Jagdgast wollte ein wirklich besonderes Tier und wir hatten genügend Zeit. Mehrere Versuche, einen starken Bock zu erlegen, waren am weiten offenen Gelände gescheitert, in dem es fast unmöglich ist, sich anzupirschen.

An einem Spätnachmittag wanderten wir stromaufwärts durch ein Trockenflussbett. Eigentlich wollten wir einen Strauß finden, doch dann bekam ich flüchtig einen starken Springbock zu sehen, der ein Stück von uns entfernt äsend hinter einem Salzbusch verschwand. Der kräftige Wind wehte für uns aus der verkehrten Richtung, so dass wir einen großen Umweg machen mussten, um ihn zu unserem Vorteil zu nutzen. Oryx-Antilopen und Strauße standen uns im Weg, und zu allem Übel war die Sonne rasch am Untergehen. Ein einsamer Giraffenbulle, der uns wachsam beobachtet hatte, wurde schließlich nervös und galoppierte zu seinen Artgenossen davon. Unser Springbock verschwand, und wir kehrten an jenem Abend unverrichteter Dinge ins Lager zurück.

Wir hatten unser Lager unter mächtigen Kameldornbäumen aufgeschlagen und es kam uns vor, als erlebten wir die afrikanische Wildnis früherer Zeiten. In der friedlichen Stille am Lagerfeuer horchten wir kurz nach Sonnenuntergang auf die Geräusche der bellenden Geckos und das gespenstische Heulen eines Schackals. Später an jenem Abend hörten wir auch die bekannten Laute einer Tüpfelhyäne. Ihre Spuren, die am nächsten Morgen durch unser Lager führten, verstärkten das Gefühl, dass wir uns an einem sagenhaft wilden Platz befanden.

Wir kehrten in den Flusslauf zurück, um erneut nach dem Springbock zu suchen. Erst spät am Nachmittag sichteten wir ihn. Er äste auf der Ebene und bewegte sich dabei langsam auf das Flussbett zu. Diesmal stand der Wind günstig und wir gingen direkt am erwarteten Weg des Springbocks in Stellung. Ich konnte sehen, dass er stark war, aber die Trophäe würde ich erst zuverlässig abschätzen können, wenn er näher herankam. Mein Jagdgast hatte seine Zielstöcke hinter einem kleinen Salzbusch im Schatten eines Kameldornbaums aufgestellt. Er war bereit. Es schien wie eine Ewigkeit, bis der Bock endlich nur noch weniger als hundert Meter entfernt war. Ich brauchte gar nicht durch mein Fernglas schauen: ich wusste einfach, dass dies der Springbock war, den wir wollten.

Ein 180 gr. Geschoss, geschickt auf die Schulter platziert, brachte den Bock sofort zur Strecke. Als ich die Hörner berührte, wurde mir bewusst, warum ich diese herrlichen Tiere so leidenschaftlich gerne jage. Sie sind perfekt an diese trockene Umgebung angepasst und erinnern mich stets daran, dass Gott seine Kreaturen ganz einzigartig erschaffen hat.

An jenem Abend hielt ich auf dem Weg zurück ins Lager an und stieg aus dem Jagdwagen. Ich hörte auf die Stille und betrachtete die sanften Farben der Berge. Im letzten Sonnenlicht verwandelt sich diese ausgedörrte, scheinbar leblose Landschaft. Die einsetzende Dämmerung taucht sie in zarte Farbtöne von violett über pink bis blau.

Es konnte gar nicht ausbleiben. Diesen Ort der großartigen Einsamkeit, der Kaokoveld genannt wird, habe ich längst fest ins Herz geschlossen.

Dieser Artikel wurde erstmals in der 2015 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.