I ch würde eine Rosette auf seiner Schulter als meine Zielscheibe auswählen und ganz langsam den Finger krümmen. Was für ein perfekter Aufbau, dachte ich. Die Waffe ruhte auf dem vorderen Ende eines V-förmigen Sandsacks, der auf zwei horizontal angeordneten Kameldornästen lag. Die Äste waren an jeder Seite an Zaunpfosten aus Stahl befestigt, die tief im Erdreich steckten, und der Gleichgewichtspunkt des Gewehrs befand sich in der oberen Schlaufe des dreibeinigen Aluminium- Schießstocks. Ohne sonderliche Mühe spürte ich mit der Spitze meines rechten Zeige ngers den Stahl des Abzugs und drückte behutsam ab. „Bumm!“ sagte ich leise zu mir selbst und stellte mir den starken Kuder am Köder vor, mit der Nase in der fettigen Flanke des Warzenschweins, das wir sorgfältig am Baum verankert hatten. Ich hob den Kopf und schaute nach links: mein Berufsjäger und Freund Kurt Duval, der Besitzer von Namibia Hunting Impressions, hatte ein breites Lächeln im Gesicht. „Perfekt“, üsterte ich mit einem Augenzwinkern. Das hier war eine Generalprobe gewesen, aber sie war genauso wichtig wie die eigentliche Vorstellung.
Kurt hatte seine Arbeit getan und ich wartete ungeduldig darauf, meine Aufgabe zu erfüllen, sobald sich die Gelegenheit bot. Bei der Leopardenjagd kommt es auf jedes Detail an, und der Plan muss äußerst genau ausgeführt werden. Es war genial, dass Kurt mich au orderte, schon mal im Stuhl zu sitzen, um ein Gefühl für die ganze Anordnung zu bekommen und im Geiste den Schuss abzufeuern. Ich habe in sieben afrikanischen Ländern gejagt und kann die Expertise und die Professionalität der namibischen Berufsjäger, mit denen ich es bisher zu tun hatte, nur bestätigen. Es ist mir eine Ehre, dass ich etliche von ihnen Freunde nennen darf – sie verkörpern den Charakter und die Hingabe des vollendeten Berufsjägers.
Die Planung für diese Jagd hatte im vorigen Jahr begonnen, als meine Frau Betsy, Kurt und ich uns eines Nachmittags auf seiner Farm Wolfsgrund in der östlichen Landesmitte an zwei kapitale Kudu-Bullen heranpirschten.
Im roten Sand entdeckte ich den Abdruck der Vorderpfote einer sehr schweren Kuder. Das Jahr 2016 sollte für mich und meine afrikanischen Jagden eine Art Meilenstein darstellen. Diese Reise würde meine 50. Safari in sieben Ländern des afrikanischen Kontinents werden und mein 30. Besuch in Namibia. In dem Moment, in dem ich die Leopardenspur sah, wurde dieser Leopard zum Mittelpunkt meiner 50. Safari. Im Juli 1987 hatte ich mich gleich bei meinem ersten Besuch auf der Farm Lichtenstein Nord von Uli und Ann Rusch in “Afrikas Juwel” verliebt. Dank ihrer Großzügigkeit war es mir damals als jungem Ehemann und Vater mit einem sehr begrenzten „verfügbaren“ Einkommen überhaupt möglich, Namibia zu besuchen. Dadurch sind wir eine Familie geworden.
Im Laufe der Jahre habe ich zahlreiche wunderbare Menschen kennengelernt, und ich hatte viele unglaubliche Jagdabenteuer im ehemaligen Südwestafrika. Ich erinnere mich an den Einsatz der UNTAG und an die ersten allgemeinen Wahlen. Ich erinnere mich an einen Abend in Okaukuejo, als ich mich mit Volker Grellmann und Peter Capstick beim Sundowner über das Elefantenvideo unterhielt, mit dem sie beschäftigt waren. Nie werde ich die sagenhafte Dünenfahrt durch die Namib vergessen oder das glasklare Wasser des Okavango. Die Sonne scheint anders über dem afrikanischen Kontinent. Afrikas Gerüche, Geräusche und Aussichten sind einzigartig. Jedes Mal wenn ich zu Besuch komme, rührt sich tief in meiner Seele ein Urgefühl, das mir sagt, dass ich zu Hause bin.
Als ich 2014 in Namibia war, legten wir auf der Rusch-Farm im Khomashochland einem 64 kg schweren Leoparden Kuder ein Senderhalsband an. Bettys Gesichtsausdruck, als sie einen lebendigen, wenngleich betäubten Leoparden „streicheln“ durfte, sprach Bände über ihre gerade erst entdeckte Begeisterung für das wilde Afrika. Das Halsband übermittelt immer noch Daten. Seither sind auf der Rusch-Farm zwei weitere Leoparden gefangen, mit Halsband versehen und wieder freigelassen worden. O ensichtlich ist über das Verhalten von Leoparden viel gelernt worden.
In der Zeit meiner ersten Namibia-Aufenthalte traf man selten auf Leopardenspuren. Jetzt sind sie fast im gesamten Land nichts Ungewöhnliches mehr. Das ist das Ergebnis der hervorragenden Wildhege-Praktiken seitens der namibischen Landbesitzer und dem allgemeinen Verständnis für den Wert und die Bedeutung des Wildes.
Die Wildkamera hatte zwei sehr starke Leopard aufgenommen, die sich an unserer Gabe gütlich taten. Zwei Tage vor meiner Ankunft hatte dieser starke Leopard ein Rinderkalb gerissen und teilweise aufgefressen, das Kurt vom Landbesitzer als Anfangsluder entgegengenommen hatte. Unsere Jagd fand auf einer Nachbarfarm statt. Im Vormonat hatte Kurt erfolgreich auf Wolfsgrund gejagt und sein Jagdgast aus Europa hatte einen kapitalen Leoparden erlegt. Das Kalb gehörte jetzt der Vergangenheit an und wir legten ein fettes weibliches Warzenschwein als Luder aus. Die Kamera verriet uns, dass auch eine Leopardin zum Fressen gekommen war und dass eine braune Hyäne den Luderplatz inspiziert hatte.
Jedes Mal, wenn wir den Köder erneuerten, hielten wir uns an eine bestimmte Routine. Mit den Eingeweiden und Innereien frischten wir immer den Geruch am Baum und rings um den Luderplatz auf.
Im August kann es recht windig sein, und Wetterfronten scheinen in regelmäßigen Abständen über das Land zu ziehen. In diesem Jahr war es nicht anders, und wir mussten uns stets über die Windrichtung im Klaren sein. Wir hatten der Versuchung widerstanden, diese Sache zu forcieren. Geduld war unsere Verbündete. In den ersten Tagen saßen wir nicht im Schirm. Es war wichtig, dass sich der Kuder an unseren Schirm gewöhnte.
Da dieser Leopard im Jahr zuvor von einem anderen bekannten Berufsjäger gejagt worden war, wussten wir, dass er kein einfaches Ziel abgeben würde. Zwar hatten wir gelegentlich einen anderen Kuder am Luder Nummer zwei fressen sehen, doch wir beschlossen, uns an den mit der großen Tatze zu halten. Die Chancen standen nicht sonderlich gut für uns – aber was für eine Herausforderung war diese Jagd!
Am Tag 5 bezogen wir erstmals den Schirm. Die Erwartung war auf dem Gipfel angelangt, und alle meine Sinne waren angespannt auf der Hut. Der Leopard war jeden Abend etwas früher zum Fressen gekommen. Wir mussten ihn bei Tageslicht auf dem Baum erwischen. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist in Namibia kein künstliches Licht bei der Jagd erlaubt. Genauer gesagt besteht Schiessverbot ab einer halben Stunde nach Sonnenuntergang bis eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Das ergibt für die Leopardenjagd die sprichwörtliche Situation von wegen „eine Hand ist am Rücken gefesselt“. Doch das sah ich nicht als Problem, denn ich kannte ja die Spielregeln, als ich mich auf den Kampf einließ.
Am Tag 7 zeigte die Wildkamera ein herrliches Foto von „Spots“, dem Ge eckten, bei hellem Tageslicht am Warzenschein. Jetzt bekam das Dilemma mit dem Schirm Priorität. Wir konnten nicht spät am Abend oder frühmorgens in die Schlucht kommen und den Schrim beziehen, denn dadurch würden wir riskieren, einen fressenden Leoparden zu stören. Es blieb nichts anderes übrig als die ganze Nacht im Schirm zu verbringen, damit wir bei Sonnenaufgang gleich zur Stelle waren, falls er dann zum Luder kam.
Um 16:30 betraten wir die Schlucht. Naftali, unser Kavango-Tracker, hielt plötzlich inne und spähte in das Tal hinauf zu unserem Luderplatz. Neben dem Luder saß etwas. Dieses Etwas war groß und schwarz. Ich hörte Naftali zu Kurt sagen, dass es eine Fledermaus sei! „Eine Fledermaus?“ Wie groß sind
denn hier die Fledermäuse? Es musste Graf Dracula sein! Als das Etwas au og und unsere Richtung ansteuerte, konnte ich erkennen, dass es ein Ka ernadler war. Später erfuhr ich, dass es am Okavango tatsächlich sehr große Fledermäuse gibt. Wir betraten den Schirm, auf höchste Wachsamkeit eingestellt und voller Ho nung, dass sich unser Kuder in den nächsten zwei Stunden einstellen werde. Sonst stand eine lange Nacht bevor.
Um 18:15 hörten wir vielstimmiges Zetern von den Klippdachsen herüberklingen. War der Ehrengast auf dem Weg zur Abendtafel? Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich horchte angestrengt auf jedes Geräusch. Kurt sah mich an und ich bemerkte, dass sein linker Mundwinkel leicht nach oben gezogen war. Er hielt ein Lächeln zurück, genau wie ich. Optimismus erfüllte den Schirm.
Beeil dich, dachte ich, es wird bald dunkel. Bei der nächsten lebenden Verwandtschaft der Elefanten wurde noch ein bisschen weitergezetert, aber dann umhüllte wieder Stille den frühen Abend. Ohne jeden Mucks blieben wir elf Stunden lang sitzen. Gegen 5:30 begann das erste Tageslicht in die Schlucht zu träufeln. Ich kämpfte gegen das Verlangen nach Schlaf an und xierte meinen Blick auf den Luderbaum.
Mit jeder Minute, die vorbeitickte, nahm eine verschwommene Collage Gestalt an. Eine Stimme in meinem Kopf bemühte sich, unser Kuder zum Luderbaum herbei zu beordern. Mit allen meinen telepathischen Kräften wollte ich das Schicksal dieses Leoparden bestimmen, aber es nutzte nichts. Ich schob mein Gesicht ans Gewehr und spähte durch das Zielfernrohr. Die Innereistücke, die an der Baumrinde klebten, waren leicht zu erkennen. Ich war bereit, aber unser Kuder ließ auf sich warten.
Um 8:30 funkten wir Kate auf der Farm an, uns abzuholen. Es würde 45 Minuten dauern, bis sie kam, und ich versuchte mir die Beine zu vertreten. In den fast 15 Stunden, die ich sitzend verbracht hatte, waren die Gliedmaßen steif geworden. Die frische Fährte einer braunen Hyäne am Hügel auf dem Weg zu unserem Schirm erklärte die Aufregung unter den Klippdachsen und die Warnrufe, die wir abends gehört hatten.
In den folgenden drei Tagen kam unser Kuder gar nicht mehr zum Luderplatz. Wir legten frischen Köder aus und hegten einen Optimismus wie ihn alle wahren Jäger aufbringen. Die Beute eines Jägers muss die Möglichkeit haben zu entkommen, sich nie zu zeigen, sonst ist es kein echter Jagdeinsatz.
Fortuna hat es auf meinen Jagdaus ügen häu g gut mit mir gemeint. Zwei Leoparden habe
ich zufällig erlegt, als ich auf früheren Safaris Steppenwild jagte. Vor dieser Jagd hatte ich noch nie in einem Leoparden-Schirm gesessen oder einen Leoparden geködert. Diesmal leistete ich meinen Tribut. Wir verbrachten
47 Stunden im Schirm, meist ohne ein Wort zu sagen. Es ist frappant, was für ein stilles Einverständnis bisweilen zwischen bestimmten Jägern besteht. Man weiß beinahe was der andere denkt. So war es mit Kurt und mir.
Wenn es die Götter der Jagd wollen, wird es eine neue Leopardenjagd für mich geben. Sie wird in Namibia statt nden, und was meine Erfolgsaussichten betri t, werde ich meinen Optimismus wahren.
Dieser Artikel wurde erstmals in der 2017 Deutsch-Ausgabe von HUNTiNAMIBIA veröffentlicht.