W ie der Zufall es wollte, saß ich während der CITES CoP 17, die kürzlich in Johannesburg stattfand, in der Sitzreihe hinter der Delegation der Humane Society, deren Vertreter, wie viele andere Teilnehmer an der Konferenz auch, einen Plüsch- Löwen auf ihre Tische gestellt hatten. Einen kuscheligen kleinen Sto -Löwen mit samtenen hellbraunen Fell, mit weicher dunkler Mähne und Schwanzquaste, der, mit erhobenem Haupt auf den Keulen sitzend, den Blick mit wahrhaft majestätischem und friedvollen Ausdruck voraus gerichtet, neben die Mikrophone auf den Tischen platziert war, um die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf die Misere zu richten, in der sich der König der Tiere be ndet. Im Stillen musste ich denken: „Wenn ihr bloß wüsstet, was einen wilden Löwen wirklich ausmacht.“
Nach meiner Rückkehr stieß ich zufällig auf ein phantastisches Foto von zwei jagenden Löwen – wilder Löwen –; die Köpfe gesenkt wie zornige Löwen dies tun, die Augen starr auf ein dem Betrachter verborgenes Beutetier gerichtet, der Mähnenlöwe auf der linken Seite mit einem narbenbedecktem Gesicht und einer etwas schäbigen Mähne, wie dies bei einem alten Dornbusch-Löwen so sein muss. Dieses Foto geradezu ehrfurchtsvoll betrachtend, wurde ich – wegen des gesenkten Hauptes und des wilden Feuers in den gelben Augen des herrlichen Mähnenlöwen – an eine Begegnung vor vielen Jahren erinnert, als ich einem erzürnten Löwen auf kürzeste Distanz Angesicht zu Angesicht gegenüberstand; ein Augenblick der mir nun wieder lebhaft in Erinnerung kommt.
Leider war der Fotograf nicht bereit das erwähnte Foto zur Verfügung zu stellen. Daher überlasse ich es der Vorstellungskraft jener, die die Wildnis und den Löwen kennen, sich die Szene vorzustellen.
Es war Mitte der 1990er Jahre westlich des Khaudum. Früh an einem Morgen waren wir auf die Spuren eines riesigen einzelnen Löwen gestoßen, die taufrisch in dem weichen, weißen Sand der Kavango Region abgebildet waren. Schon die Spuren eines Löwen, wenn man ebenfalls zu Fuß ist, reichen, um die Vorstellungskraft lebhaft anzuregen und einen nochmals darüber nachdenken zu lassen, was man vorhat; besonders wenn man sich durch unübersichtliches Buschland bewegt. Wir nahmen die Spuren des Löwen auf.
Ich war mit Max eurer, einem markigen altem Jäger, der nicht mehr unter uns weilt, und einem alten Buschmann Fährtenleser, der inzwischen ebenfalls in die ewigen Jagdgründe hinübergewechselt ist, unterwegs. Und die Wildnis westlich des Khaudum Nationalparks ist auch nicht mehr – das Gebiet wurde inzwischen zu Farmland, dort werden nun Rinder gezüchtet.
Nach einer Weile des Fährtens wurde uns klar, dass der Löwe in die Richtung der Überreste eines Elefanten unterwegs war, den wir ein paar Tage zuvor erlegt hatten. Als wir uns der Stelle näherten, sahen wir, das die Geier, deren kreisender Flug über den Überresten den Löwen vermutlich angelockt hatte, noch auf den Bäumen saßen, sodass wir annehmen mussten, dass der Löwe sich noch am Kadaver befand. Um genügend Platz zum Zerwirken des Elefanten vor ein paar Tagen zu haben, hatten wir eine kleine Frei äche von vielleicht dreißig Metern Durchmesser in das dichte Gelbholz- Gestrüpp geschlagen, in dem der Elefant lag. Den Fährtenleser zurücklassend, näherten Max und ich uns nun dieser kleinen Lichtung in äußerster Spannung und Aufmerksamkeit mit gutem Wind. Auf Zehenspitzen schlichen wir durch das dichte Gebüsch dem Rand der Lichtung entgegen, immer wieder anhaltend und lauschend, während dass Adrenalin mit wilder Macht durch unsere Adern pulsierte.
Als wir den Lichtungsrand erreicht hatten, mussten wir feststellen, dass der Löwe sich nicht diesseits des Haufens der Überreste aus Innereien, Rippenknochen und Wirbelsäule befand, den wir zurückgelassen hatten. Wir vermuteten ihn hinter diesem Haufen liegend, also schlichen wir im Bogen mit den Gewehren im Halbanschlag am Dickungsrand entlang, um schließlich festzustellen , dass der Löwe auch dort nicht war. Also ließen wir die Gewehre sinken, während die Spannung in uns ab oss und wechselten ein paar ge üsterte Worte, als der Löwe plötzlich mit wütendem Grollen aus dem Gestrüpp vielleicht fünf oder sechs Schritte zu unserer Rechten hochfuhr. Da ich mich auf der rechten Seite befand, um Max freies Schussfeld in die Richtung der Überreste zu unserer Linken zu geben, befand sich der Löwe unmittelbar neben mir und ich stand im Schussfeld. Für einen Sekundenbruchteil starrte ich dem wütendem Löwen in das Angesicht, ein Anblick der sich für immer in meine Erinnerung gebrannt hat; das Haupt gesenkt, ein wildes Feuer in den ammend gelben Augen, ein tief-dunkles Grollen aus dem mächtigen Brustkorb empordröhnend.
Mehr aus einem instinktiven Re ex unter dem Eindruck des furchtbaren Grollens, denn aus Notwendigkeit, denn Max war ein erfahrener Jäger und bedurfte dieser Au orderung nicht, rief ich lauf: „Schieß!“
Als Max nun an meine Seite eilte, während im selben Moment mein lauter Ruf erschallte, warf der Löwe sich herum und suchte das Weite, den Schwanz dabei hochwerfend. Der hastige Schuss, den Max dem üchtenden Löwen nachwarf, ging knapp dahinter und zerschlug sich in den Sträuchern.
Mit wildem Herzklopfen, welches das Blut hörbar durch unsere Adern rauschen ließ, traten wir nun an die Überreste des Elefanten heran, wo ich eine gelbe Strähne von der Mähne des Löwen entdeckte, die sich in einem zackig abgekautem Knochen verklemmt hatte. Ich entfernte die blonde Strähne und wand sie um meinen Zeige nger, um sie mitzunehmen. Sie fühlte sich rau und spröde an. Später verwahrte ich sie gemeinsam mit einem kleinen Holzstückchen, das ich der Schläfen-Drüse eines alten Elefantenbullen entnommen hatte, in einer Streichholzschachtel. Kleine Talisman, welche die afrikanische Wildnis symbolisieren, und die ich rückblickend gerne neben dem Mikrophon auf meinem Tisch bei der CITES Konferenz platziert hätte, um die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf die Misere der unberührten afrikanischen Wildnis zu richten – Lebensraum für herrliche Wildtiere, der mit erschreckender Geschwindigkeit zerstört wird und der auf keinen CITES- Anhängen zu finden ist.